Schüchtern? Na und?! Tipps von Pädagogin Inke Hummel.
Buchautorin Inke Hummel mit persönlichen Einblicken und Hilfestellungen für Eltern. Autorin: Dorothee Dahinden
Schüchtern: ein Wort, eine Eigenschaft, die an vielen Stellen unserer Gesellschaft noch Schubladen auf und zugehen lässt. Warum?
Pädagogin Inke Hummel mit Antworten, Hilfestellungen von Eltern mit schüchternen Kindern und persönlichen Einblicken in ihr Leben. So viel vorweg. Die Buchautorin sagt von sich: ich bin auch schüchtern.
Schüchtern: „Ich hadere nicht mit meinem Temperament, sondern mag mich so wie ich bin.“
Liebe Inke, erst einmal herzlichen Glückwunsch zu deinem neuen Buch. Ein so wichtiges Thema. Als ich das erste Mal gehört habe, dass es um schüchterne Kinder geht, habe ich mich gefragt: Spielen hier vielleicht auch deine Erfahrungen rein? Darf ich dich das so direkt fragen: Gibt es einen Bezug zu dir? Warst du schüchtern? Bzw. bist du es noch?
Klar darfst du das fragen. Ich bin tatsächlich selbst auch schüchtern. Für die Entstehung des Buches war das gar nicht relevant, weil die Idee aus meinen Beratungen entstanden ist, wo häufig Familien sitzen, die ein schüchternes Kind haben und verunsichert sind, ob sie mit ihm richtig umgehen. Im Entstehungsprozess habe ich dann aber natürlich doch an einigen Stellen überlegt „Wie war das bei mir?“, „Was hätte mir besser geholfen?“ und auch „Was haben meine Eltern toll gemacht?“
„Ich denke, ich hatte in vielen Fällen Glück, dass die Menschen (…) mir meist sehr wohl gesonnen waren.“
Ich empfinde dich als starke und super sympathische Persönlichkeit. Eine Frau, die eine Stimme hat, aber keine „Rampensau“ ist. Wie siehst du dich heute selbst?
Danke, das nehme ich als Kompliment. Ja, ich glaube, das trifft es ganz gut. Ich bin immer noch schüchtern – mein Temperament kann ja keiner wegerziehen. Aber durch viele Begegnungen, gute Schubser und auch Chancen stehe ich jetzt an einem Punkt, den ich jedem schüchternen Kind wünsche: Ich hadere nicht mit meinem Temperament, sondern mag mich so wie ich bin; ich kann meine Ziele festsetzen und in kleinen Schritten erreichen, selbst wenn es eigentlich eher Ziele für Rampensäue wären!
Schüchtern: „ein Gewinn ist die Zurückhaltung immer, wenn ich mir Dinge langsam erschließe und Menschen behutsam begegne.“
Wie siehst du es rückblickend: In welchen Bereichen hattest du es aufgrund deiner Schüchternheit vielleicht ein bisschen schwerer als andere? Und wann war sie für dich persönlich auch ein Gewinn?
Hm, spannende Fragen. Ich denke, ich hatte in vielen Fällen Glück, dass die Menschen in meiner Umgebung – angefangen von Erzieherinnen über Lehrkräfte bis hin zu Freund*innen, Kolleg*innen und Vorgesetzten – mir meist sehr wohl gesonnen waren, so dass ich auch mit meiner Behutsamkeit gut überall durchkam und das nicht so oft als falsch, arrogant oder desinteressiert ausgelegt wurde.
Aber sicher waren dennoch viele Momente bestimmt stressiger für mich als andere, weil zum Beispiel ein Referat für mich nicht nur aufregend war wie für alle, sondern echt gruselig, oder eine mündliche Prüfung nicht nur eine Herausforderung, sondern ein Horrortrip. Doch jedes bisschen, was ich gemeistert habe, hat mich selbstsicherer gemacht.
Und ein Gewinn ist die Zurückhaltung immer, wenn ich mir Dinge langsam erschließe und Menschen behutsam begegne. Da passieren weniger Fehler und Missverständnisse, denke ich.
Ich hatte viel Glück.
Gibt es etwas, was du dir im Nachgang von deinem persönlichen und auch weiteren Umfeld gewünscht hättest?
Ich habe die Schubser, die ich in meinem Buch beschreibe, erst recht spät erlebt: vor allem in der Uni und im ersten Job. Es wäre bestimmt gut gewesen, wenn ich schon als Kind öfter mal mehr ermutigt worden wäre, etwas zu wagen. Aber das ist nicht mehr relevant heute, weil ich jetzt zufrieden bin wie es ist. Letzten Endes bin ich einen guten Weg mit guter Begleitung gegangen. Es hätte sehr viel schlimmer sein können in einem autoritären Elternhaus, mit unbarmherzigen Lehrkräften o.ä.
Was macht schüchterne Kinder aus? Woran erkenne ich die Schüchternheit meines Kindes?
In schüchternen Kindern springt das Frühwarnsystem schneller an als bei anderen, auch in eigentlich unbedenklichen Situationen, weshalb sie zögerlicher in die Welt gehen. Das ist oft super, denn dann hat man kein Kind, dass mit jedem mitlatscht, auf einen gefährlichen Baum klettert oder irgendwo spontan in einen tiefen See springt. Aber es kann natürlich auch das Kind und die Familie stressen, wenn die Schüchternheit so stark wirken darf, dass das Kind sich in Planung und Angst verliert und vollkommen gehemmt ist in seinem Handeln. Da muss man hingucken.
Schüchterne Kinder werden weniger beachtet.
Wie oft werden sie in unserer Gesellschaft übersehen und verkannt?
Überall wo bewertet wird, also in der Kita, in der Schule, im Hobbybereich, kann es passieren, dass sie übersehen oder verkannt werden. Vielleicht ist die Schüchternheit ganz angenehm, weil das Kind nicht weiter zur Last fällt, aber dadurch wird es auch weniger beachtet. Und vielleicht wird sein Temperament negativ betrachtet: Das ist echt häufig der Fall. Ich weiß nicht, wie viele Bewertungsbögen oder Kommentare ich schon gesehen habe, die Anführer wollen und ein Kind kritisieren, weil es immer nur im Team mitschwimmt oder Einzelgänger ist. Dass das schlecht ist, ist eine Sichtweise, die ich nicht teilen kann – und auch dafür kämpft mein Buch.