True Familie

Ungeplante Alleingeburt: „Fuck, da ist ein Kopf!“

Unsere Psychologin Isabel Huttarsch über DEN ungeplantesten Moment ihres Lebens.

von
Dorothee Dahinden

Eine Alleingeburt hatte unsere Psychologin Isabel Huttarsch so gar nicht geplant. Doch ihr Baby hatte sein eigenes – ziemlich steiles – Tempo.

Die Geschichte von Isabel und ihrem dritten Kind ist einfach so unglaublich, so persönlich, so berührend, dass wir sie euch unbedingt erzählen möchten. Was uns ganz wichtig ist: Bitte lest sie nur, wenn ihr sie genießen könnt und euch nicht emotional getriggert fühlt. Denn klar ist: Nicht jede von uns hat eine unkomplizierte Spontangeburt. Denn (Bauch-) Geburt ist eben sowas von vielfältig!


Meine Alleingeburt: „Zwei unfassbar intensive Presswehen. Und dann war mein drittes Kind geboren.“

Liebe Isabel, vor zwei Jahren hast du dein drittes Kind zuhause geboren. Ganz alleine. Magst du uns vielleicht mal mitnehmen: Wie war das? Was ist passiert? Und was war eigentlich geplant?

Sehr gerne nehme ich euch mit. Tatsächlich war das alles so nicht geplant. Was geplant war, war eine Hausgeburt mit meiner Hebamme. Dazu kam es aber nicht. Aber erst einmal von vorne.

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Ich hatte einen stressigen Tag hinter mir und musste noch dringend eine Projekt-Deadline erfüllen. Pünktlich um Mitternacht hatte ich es geschafft und klappte meinen Laptop zu. Um 00:01 Uhr lief mir dann auf einmal warmes Fruchtwasser über die Beine. Im ersten Moment war ich entsetzt, denn ich fühlte mich nicht bereit, nach dem langen Arbeitstag unendlich müde mein Kind zu gebären. Ich weckte meinen Mann, der zu dem Zeitpunkt schon schlief. Er versuchte eine Weile ziemlich erfolglos, mir einzureden, ich wäre gar nicht müde. Doch ich war es, sehr sogar.

„Mein Mann zündete mir einige Kerzen an und ging wieder ins Bett zu den beiden Geschwisterkindern.“

Credit: Franziska Spindler

Zuallererst einmal riefen wir meine Hebamme an. Sie meinte, ich solle mich nochmals melden, sobald die Wehen etwa 5 Minuten Abstand hätten. Die Wehen ließen zu diesem Zeitpunkt aber noch gänzlich auf sich warten. Kurz vor eins kamen sie dann, von Anfang an relativ intensiv, aber mit einem Abstand von acht bis zehn Minuten. Es würde also noch dauern, dachte ich… Mein Mann zündete mir einige Kerzen an und ging wieder ins Bett zu den beiden Geschwisterkindern, die in dieser Nacht unruhig geschlafen hatten.

Mir kam das gelegen, denn ich wollte meine Ruhe. Das war auch der Moment, ab dem ich annehmen konnte, das mein Kind tatsächlich heute geboren werden möchte, egal, ob ich müde war oder nicht. Ich goss ein Duftöl in meine Lampe, packte mir Musik auf die Ohren, und atmete bewusst durch jede Wehe. Mal auf dem Gymnastikball, mal im Stehen, mal rittlings auf einem Stuhl. Inzwischen war es halb vier geworden und die Wehen kamen immer noch im selben „großen“ Abstand.

Emotionale Alleingeburt: „Es lag zwischen meinen Beinen und sah mich mit großen, neugierigen Augen an.“

Aber sie begannen, sich zu verändern. Während ich bislang die meiste Zeit auf dem Gymnastikball vor dem Kamin verbracht hatte, bekam ich das dringende Bedürfnis nach frischer Luft. Ich lief zur Terrassentür und öffnete sie. Auf dem Weg dorthin veratmete ich eine Wehe. Auf dem Weg zurück musste ich mich am Tisch festhalten, da mich die nächste Wehe mit ganz anderer Qualität erwartete. ‚Komisch, das fühlt sich irgendwie nach Übergangsphase an‘, dachte ich. Gleichzeitig glaubte ich an einen Irrtum, da die Wehen ja nach wie vor fast zehn Minuten Abstand hatten.

Ich wollte wieder auf meinem Ball Platz nehmen, aber mit dem Sitzen war es vorbei. Ich lief etwas aufgescheucht quer durch das Wohnzimmer und veratmete eine Wehe nach der anderen. Und war verwirrt, denn sie fühlten sich an, wie kurz vor der Austrittsphase, aber das konnte nicht sein, sagte mir mein Kopf, der auf der Stoppuhr zwischen den Wehen immer noch 7 Minuten las. Aber dann ging alles ziemlich schnell und gleichzeitig zutiefst friedlich – zwei unfassbar intensive Presswehen. Und dann war mein drittes Kind geboren. Es lag zwischen meinen Beinen und sah mich mit großen, neugierigen Augen an.

Und in diesem Moment meiner Alleingeburt passierte alles ganz automatisch, ohne mein bewusstes Zutun.

Wie ging es dir in dem Moment der Geburt? Welche Gedanken schossen dir durch den Kopf? Welche Gefühle, Sorgen, Emotionen?

Mein Gefühl hatte mich nicht getrügt, ich befand mich trotz dem Wehenabstand von 7 Minuten also bereits im Übergang zur Austrittsphase. Ein zentraler Gedanke, den ich aus diesem Moment noch ganz klar vor Augen habe: ‚Isabel du musst dir jetzt die Hose ausziehen‘. Pragmatisch, ich weiss. Ich muss heute selbst darüber schmunzeln.

Gesagt, getan. Ich wartete die Wehe ab, zog meine Hose aus und kniete mich auf den Boden, mit den Armen vorne über den Gymnastikball gelehnt. Alles, was ich ab diesem Moment tat, passierte ganz automatisch, ohne mein bewusstes Zutun. Es war, als ob ich meinem Körper zuhörte, der mir ganz klar signalisierte, was zu tun ist. Dann kam auch schon die erste von zwei Presswehen. Ich kann nicht sagen, wie lange sie in der Realität gedauert hat, gefühlt waren es zwei Minuten. Zwei sehr effektive Minuten.

Mein Baby wimmerte, ich nahm es mit meinen Händen auf und legte es in meine Arme.“

Denn auf einmal war der Kopf meines Kindes geboren. Ich höre mich heute noch rufen „Fuck, da ist ein Kopf!“. Ich fasste mit meiner rechten Hand an den Kopf des Babies, um mich zu vergewissern, dass das wirklich ein Kopf war. Und ja, zweifelsohne, das war es. Es folgte ein eindrücklicher Moment der Stille. Innen wie außen. Dann bahnte sich auch schon die zweite Presswehe an. Und mit einer ähnlichen Intensität geleitete sie den Rest meines Kindes nach draußen.

Mein Kind war geboren. „Hallo, da bist du ja“, sagte ich, daran erinnere ich mich noch genau. Mein Baby wimmerte, ich nahm es mit meinen Händen auf und legte es in meine Arme. Das war gar nicht so leicht, denn die Nabelschnur war relativ kurz. Nach ein paar selbstvergessenen Momenten mit meinem Baby erspähte ich mein Handy etwa zwei Meter entfernt auf dem Sofa. Es muss sehr lustig ausgesehen haben, wie ich, mit dem Kind in meinen Armen und der Nabelschnur zwischen meinen Beinen, versucht habe, dorthin zu kommen.

„Zu keinem Moment der Alleingeburt habe ich Angst oder Sorgen verspürt.“

Nach ein paar Versuchen gelang es mir. Ich rief meinen Mann an. Der nahm verschlafen ab und ich fragte ihn, ob er mal kurz zu mir runter kommen könne. Er legte auf, lief die Treppe nach unten und traute seinen Augen kaum, als er im Wohnzimmer ankam und dort nicht nur mich, sondern auch das Baby antraf. Wenige Minuten später kamen die beiden Geschwister dazu, sie waren vom Weinen des Babies aufgewacht. Zu fünft warteten wir dann im Kerzenschein auf dem Teppich vor dem Sofa auf die Ankunft der Hebamme. In ihrem Beisein habe ich dann ganz in Ruhe die Plazenta geboren, erst danach hat sie das Baby abgenabelt. Und wir hatten Zeit, gemeinsam über die Ereignisse der letzten Stunden zu staunen.

Alleingeburt
Credit: Isabel Huttarsch

Zu keinem Moment der Alleingeburt habe ich Angst oder Sorgen verspürt. Ich fühlte mich so eng mit mir, meinem Körper und meinem Baby verbunden, dass die Geburt von einem großen Vertrauen in mich, mein Baby und den Prozess getragen wurde. Dafür bin ich unglaublich dankbar.

„Mein Baby, mein Körper und ich haben im Einklang harmoniert und das gemeinsam gemacht.“

Mit welchem Gefühl denkst du an diese besondere dritte Geburt zurück?

In meiner früheren Vorstellung hatten Alleingeburten immer etwas Abenteuerliches und „Großes“. Ich würde meine eigene, ungeplante Alleingeburt hingegen als spektakulär unspektakulär beschreiben. Es war eine der natürlichsten und ursprünglichsten Erfahrungen, die ich bislang machen durfte in meinem Leben. Mein Baby, mein Körper und ich haben im Einklang harmoniert und das gemeinsam gemacht. Eigentlich war es also gar keine Alleingeburt. Das zentrale Gefühl ist heute Dankbarkeit. Dankbarkeit für so viel Vertrauen und Verbundenheit in diesem Prozess. Und natürlich für unser drittes Kind.

Du hast nun alle drei Kinder zuhause geboren, oder? Wozu rätst du Schwangeren, die eine Hausgeburt planen? Worauf sollten sie achten, was deiner Erfahrung nach bedenken?

Mein zweites und mein drittes Kind sind zu Hause geboren. Einmal mit und einmal ohne Hebamme. Bei meinem ersten Kind war eine Geburt im Geburtshaus geplant. Da es aber als Frühchen zur Welt kam, wurde es dann eine selbstbestimmte Geburt im Krankenhaus.

„Nimm dir in der Schwangerschaft Raum und Zeit für dich, deine Fragen, deine Sorgen, deine Ängste und dein Baby.“

Alleingeburt
Credit: Franziska Spindler

Der größte Rat, den ich wohl weitergeben möchte, ist folgender: Nimm dir in der Schwangerschaft Raum und Zeit für dich, deine Fragen, deine Sorgen, deine Ängste und dein Baby. Finde für dich heraus, was du brauchst, um dein Kind zu gebären? Wann fühlst du dich besonders wohl? Welche Rahmenbedingungen schenken dir Geborgenheit? Welches Wissen brauchst du, um dich vertrauensvoll in den Prozess begeben zu können? Und gib dir all das. Verbinde dich mit dir, verbinde dich mit deinem Baby und verbinde dich mit deinem Körper. Denn das sind deine drei größten Ressourcen während der Geburt deines Kindes.

„Geburt ist ein lebendiger Prozess.“

Und zum anderen: Geburt ist ein lebendiger Prozess. Selbst mit der besten Vorbereitung laufen Dinge manchmal anders als geplant. Und das ist Okay. Es ist nicht der Ort, der entscheidend ist. Es ist auch nicht die Art und Weise, wie du dein Kind zur Welt bringst. Ja, das alles können Faktoren sein, die dich bei einer selbstbestimmten Geburt unterstützen. Und gleichzeitig dürfen du und den Kind genau den Weg gehen, der in dem entsprechenden Moment im Anbetracht der ganzen Situation stimmig ist.

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