Medizin für alle

Broken-Heart-Syndrom: Wenn das Herz bricht …

Unsere Gynäkologin Dr. med. Judith Bildau mit einer medizinischen Erklärung!

von
Dr. med. Judith Bildau

Broken-Heart-Syndrom: Habt ihr schon einmal davon gehört? Nicht? Oder doch?

Diese Geschichte rund um das Broken-Heart-Syndrom vergesse ich nicht!

Egal, wie: Ich erzähle euch eine Geschichte aus meinem Alltag als Ärztin, die mich selber hat staunen lassen. Denn es gibt Geschichten, die man nicht vergisst. Und es gibt Menschen, die man nicht vergisst. Manchmal liege ich nachts wach und denke an die vielen Menschen, die ich während meiner Zeit als Ärztin im Krankenhaus begleitet habe.

Manche werde ich mit Sicherheit niemals vergessen. Denn sie waren besonders und ihre Geschichten eindrucksvoll. Ich freue mich sehr, mit euch zusammen, diese Erinnerungen immer mal wieder aufleben zu lassen und euch davon zu erzählen zu können.

Broken-Heart-Syndrom: Dieses Krankheitsbild war jenseits meiner Vorstellungskraft.

Hier kommt die Geschichte eines Krankheitsbildes, dem Broken-Heart-Syndrom, von dem ich so, trotz damals bereits abgeschlossenem Studium, noch nie gehört hatte. Ehrlich gesagt lag es auch jenseits meiner Vorstellungskraft.

Die Patientin, ich nenne sie Eva*, kam zur Geburt in unsere Klinik. Sie erwartete das erste Kind, die gesamte Schwangerschaft war bislang völlig komplikationslos verlaufen. Sie war Anfang dreißig, hatte keine nennenswerten Vorerkrankungen und keine besonderen Allergien. In ihrer gynäkologischen Geschichte gab es eine Fehlgeburt in einer sehr frühen Schwangerschaftswoche. Darüber war sie damals sehr traurig, ihr Mann und sie hatten sich jedoch rasch zu einer neuen Schwangerschaft entschlossen und nun stand die, sehnlichst erwartete, Geburt an. Eva sollte ein Mädchen bekommen. Vor zwei Tagen war der errechnete Geburtstermin und Eva war schon langsam unruhig.

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Der Verlauf der Geburt war völlig normal.

Sie hatte alles versucht, vom Treppen laufen bis zum Fenster putzen. Nun hatte sie in regelmäßigen Abständen Wehen. Endlich. Es erfolgte die Aufnahme in die Klinik, bei der Aufnahmeuntersuchung war der Muttermund schon leicht geöffnet. Eva und ihr Mann bezogen ein Familienzimmer und durften noch ein bisschen durch die Klinik und in die Cafeteria laufen. Bei der nächsten Untersuchung zeigte sich der Muttermund wieder ein Stückchen weiter geöffnet und Eva blieb dann im Kreißsaal. Sie musste die Wehen mittlerweile ordentlich veratmen, Die Hebamme und die diensthabende Ärztin erklärten ihr, dass der Verlauf völlig normal sei und das eine Geburt auch immer etwas ‚Geduld-haben-müssen‘ bedeute. Diese wurde in dieser Nacht auf eine gewisse Probe gestellt.

Alles war gut? Oder eben doch nicht?

Es dauerte eine ganze Weile bis der Muttermund geburtsbereit geöffnet war, zwischendurch war eine PDA gelegt worden. Eva war zwischendurch sehr erschöpft, fand in den Wehenpausen schlecht zur Ruhe und war erfüllt vor Sorge, dass irgendwelche Komplikationen auftreten könnten. Nichts dergleichen geschah. Alles verlief zwar langsam, aber stetig und als ihre Tochter ‚auf letzter Strecke‘ eine abfallende Herzfrequenz zeigte, half die Oberärztin mit der Saugglocke nach. Die kleine Louisa* erholte sich sofort, war lebensfrisch, ihre Vitalparameter völlig unauffällig. Mutter und Kind waren gesund. Alles war gut. Oder doch nicht.

Starke Luftnot und ein Eingegefühl in der Brust. Ihr Herz raste!

Eva und ihr Mann blieben mit ihrer Tochter noch eine Weile im Kreißsaal. Dort wurde Louisa auch das erste mal an die Brust gelegt, Eva war es nämlich sehr wichtig, zu stillen. Später bezogen die drei dann ihr Familienzimmer. Am frühen Morgen meldete sich schließlich Evas Ehemann bei der Hebamme, dass seine Frau über starke Luftnot und ein Engegefühl in der Brust klage. Die Hebamme und die Oberärztin fanden Eva blass und nach Luft ringend vor. Ihr Herz raste. Die Lage zeigte sich ernst. Es erfolgte eine sofortige Verlegung auf die Intensivstation. Evas Herz hatte seine normale Leistungskraft verloren.

Was hatte Eva?

In der Frühbesprechung berichteten die Hebamme und die Oberärztin von der Patientin. Alle Anwesenden tippten auf eine Lungenembolie, eine sehr seltene, doch mögliche, Komplikation nach einer Geburt. Dies konnte allerdings im weiteren Tagesverlauf ausgeschlossen werden. Doch was hatte Eva? In der Nachmittagsbesprechung berichteten dann der behandelnde Anästhesist und der Kardiologie: Eva hatte ein ‚gebrochenes Herz‘. Wir schauten alle sehr ratlos. Sie hatte WAS? Die Antwort: „Sie hat eine ‚Tako-Tsubo Kardioyopathie‘!“ Langsam wurde es für alle Gynäkologen etwas frustrierend- keine(r) wusste, was DAS sein sollte …

Symptome ähneln denen eines Herzinfarktes!

Doch wir wurden aufgeklärt: Das Broken-Heart-Syndrom (auch ‚Tako-Tsubo Kardiomyopathie‘ oder ‚Stress- Kardiomyopathie‘ genannt) ist eine Herzmuskelerkrankung, die durch starken emotionalen Stress ausgelöst wird. Es ist der körperliche Ausdruck eines umgangssprachlich genannten ‚gebrochenen Herzens‘. Die Symptome ähneln denen eines Herzinfarktes und treten meist unmittelbar nach einem sehr emotionalen und sehr belastenden Ereignis auf (übrigens sind sowohl negative als auch positive Ereignisse möglich!). Die Patienten klagen akut unter einem heftigen Druck auf der Brust und starker Luftnot, häufig zeigen sich auch Herzrhythmusstörungen.

Viele Patient*innen werden deshalb auch zunächst unter der Verdachtsdiagnose ‚Herzinfarkt‘ behandelt. Es zeigen sich EKG-Veränderungen und Erhöhung der Herzenzyme im Blut. Durch die weitere Diagnostik kann jedoch relativ zügig ein Herzinfarkt ausgeschlossen werden. So finden sich zum Beispiel im Herzkatheter keine verstopften Gefäße und im Ultraschall und anderen bildgebenden Verfahren zeigt sich eine Bewegungsstörung der linken Herzkammer, typischerweise an der Herzspitze, die allerdings nicht dem Versorgungsgebiet eines Herzkranzgefäßes entspricht. Im Blut der Patient*innen können stark erhöhte Spiegel von Stresshormonen, sogenannten ‚Katecholaminen‘, nachgewiesen werden.

Broken-Heart-Syndrom: Meistens trifft es ältere Frauen.

Die Kollegen berichten weiter, dass das ‚Broken-Heart-Syndrom‘ meist ältere Frauen trifft, aber in Einzelfällen auch junge Menschen, wie Eva, daran erkranken können. In der Akutphase dieses Krankheitsbildes ist die gesamte Situation nicht ungefährlich: Selten, aber möglich, sind schwere Herzrhythmusstörungen oder auch ein Pumpversagen des Herzens. Die genaue Ursache für dieses Syndrom ist übrigens letztendlich noch nicht geklärt. Man weiß, dass der erhöhte Spiegel der Katecholamine hauptursächlich für die Durchblutungsstörung des Herzens ist. Warum es aber bei manchen Menschen zu dieser vermehrten Hormonausschüttung kommt, das weiß man nicht.

Die Therapie des ‚Broken-Heart-Syndroms‘ besteht zunächst in der intensivmedizinischen Überwachung und emotionalen Betreuung der Patienten. Mögliche Herzrhythmusstörungen oder eine auftretende Pumpschwäche des Herzens können medikamentös behandelt werden. Die gute Nachricht ist aber: Die ‚Stress Kardiomyopathie‘ hat eine sehr gute Prognose! Man geht von 99% der Patienten aus, die vollkommen und ohne Folgeschäden genesen. Das Herz erholt sich in diesen Fällen komplett und ohne weitere Funktionsstörungen von diesem Ereignis.

Broken-Heart-Syndrom. Zum Glück: es ging glimpflich aus.

So übrigens auch bei Eva. Nach wenigen Stunden zeigte ihr Herz wieder seine vollkommene Pumpleistung, sämtliche Kreißlaufparameter waren stabil. Sie musste insgesamt noch zwei Tage auf der Intensivstation überwacht werden, danach konnte sie endlich zurück zu ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter. Bei allen machte sich Erleichterung breit. Es ist auch für Ärzt*innen, Hebammen sowie Pfleger und Pflegerinnen ein wunderbares Erlebnis, wenn eine zunächst so bedrohliche und dramatische Situation für alle so glimpflich ausgeht!

Ich erinnere mich noch gut daran, dass mein damaliger Chefarzt bei der Abschlussvisite in die Runde fragte, ob wir eigentlich wüssten, warum das ‚Broken-Heart-Synsdrom‘ auch ‚Tako-Tsubo-Kardiomyopathie’ genannt würde. Wir wussten es nicht. Er lachte: „Während der Erkrankung entwickelt die linke Herzkammer eine eigentümliche Form. Sie soll wohl an eine japanische Tintenfischfalle in Form eines Kruges mit kurzem Hals erinnern – dem Tako-Tsubo.“

Seelisches Leid kann eindrucksvolle Symptome verursachen.

Aha, wieder was gelernt. Was mich diese Geschichte aber am meisten gelehrt hat, ist, dass alle Menschen unterschiedlich empfinden. Jeder Mensch hat andere Ängste, andere Stressoren, andere Nöte. Was der eine als belanglos empfindet, gleicht für den anderen einer Katastrophe.

Für die eine Frau ist eine Geburt, auch wenn sie etwas holprig verläuft, das natürlichste der Welt, für eine andere Frau aber möglicherweise ein sehr einschneidendes, in manchen Punkten auch bedrohliches, Erlebnis. Und: Seelisches Leid kann körperliche, auch sehr eindrucksvolle, Symptome verursachen. So wie das Broken-Heart-Syndrom eben.


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