Abtreibung: „Ich glaube, dass keine Frau eine solche Entscheidung leicht fällt.“
Zwei Frauen erzählen, warum sie sich für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden haben. Dazu im Interview: Ärztinnen Kristina Hänel & Dr. med. Deniz Winter
Abtreibung – wieder ein Thema, das wir aufgreifen möchten und von dem wir durchaus wissen, dass es ein sehr emotionales ist.
Vermutlich hoffen wir alle, dass wir niemals in eine solche Situation kommen werden. In eine Situation, in der wir (oder die Partnerin) ungeplant und ungewollt schwanger sind. Und es einer Entscheidung bedarf. Dafür oder dagegen. Halb schwanger gibt es nicht. So viel ist klar.
Ich hatte beinahe fast tagtäglich Frauen in meiner Praxis sitzen, die sich in einer solchen Konfliktsituation befanden. Manchmal kamen sie mit Partner, häufiger allerdings alleine. Und verzweifelt.
Und bei dieser ganzen Diskussion um ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ (gibt es das in diesem Fall überhaupt?) möchte ich aus meiner Erfahrung berichten, dass ich noch erlebt nie habe, dass eine Frau es sich leicht gemacht hat, diese Entscheidung zu treffen. Es war immer mit vielen Tränen, schlaflosen Nächten und nicht selten auch partnerschaftlichen Enttäuschungen verbunden.
Abtreibung: Ich fühle mich als Frauenärztin für die Frauen verantwortlich
Ich habe mich den Frauen gegenüber als Frauenärztin immer sehr verbunden und verantwortlich gefühlt. Und obwohl ich selbst Mutter von vielen Kindern bin, habe ich jede Entscheidung mit ihnen getragen. Ich habe höchsten Respekt vor dem Leben.
Ich halte jede Form des Lebens für lebenswert und dennoch darf in meinen Augen jede Frau ihre ureigene Entscheidung darüber treffen, ob sie eine Schwangerschaft austragen kann oder möchte. Ob sie sich in der Lage fühlt, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Oder ob es eben schwerwiegende Gründe für sie gibt, dies nicht zu tun.
Kollegen und Kolleginnen, die Abbrüche durchführen, habe ich immer (und das betone ich ausdrücklich!) als verantwortungsbewusste und verständnisvolle Ärzte und Ärztinnen erlebt. Als Menschen, die sich über jede gewollte Schwangerschaft mit den Frauen freuen und dennoch in einer Konfliktsituation helfen, ohne darin einen Widerspruch zu sehen. Und die an vielen Stellen gesellschaftliche Verachtung aushalten müssen.
Abtreibung. Das Netz ist leider voll von Internetseiten, auf denen Frauen verurteilt werden
Während meiner Recherche zu diesem Thema bin ich auf furchtbare Internetseiten gestoßen. Foren, in denen Frauen aufs massivste verurteilt werden, weil sie einen Abbruch haben durchführen lassen. Mit schrecklichsten Bildern. Darüber bin ich zutiefst bestürzt. Diese Form der ‚Aufklärung‘ und ‚Verurteilung‘ lehne ich ausdrücklich ab. Es stigmatisiert die Frauen, die sich in einer verzweifelten Notlage befinden, traumarisiert sie und schließt sie gesellschaftlich aus.
Ebenso lehne ich den Hass auf Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen, entschieden ab. Es erklären sich immer weniger Ärzt*innen bereit, diese Eingriffe durchzuführen. Dadurch wird es nicht mehr gewollte und glückliche Schwangerschaften geben. Vielmehr laufen wir Gefahr, dass verzweifelte Frauen Abbrüche medizinisch nicht-qualifiziert selbst durchführen bzw. durchführen lassen.
Abtreibung – diese Frauen sprechen hier zum Thema:
Wir möchten verschiedene Stimmen zu Wort kommen lassen. Ich bin sehr dankbar darüber, dass Menschen sich dazu bereit erklärt haben, sich öffentlich und auf Mutterkutter zu äußern. Wir haben mit Frauen gesprochen, die einen Abbruch haben durchführen lassen.
Wir haben die Ärztin Kristina Hänel* dafür gewinnen können, dass sie uns ihre Sicht der Dinge erklärt. Und wir haben eine sehr eindrückliche Stellungnahme der Kinderärztin und Radiologin Dr. med. Deniz Winter.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal darum bitten, dass eine eventuell folgende Diskussion sachlich und fair abläuft. Wir vom Mutterkutter sind an einem ehrlichen Austausch interessiert. Wir möchten für dieses Thema sensibilisieren, darauf aufmerksam machen, es ent-tabuisieren.
*Die Ärztin ist vielen aus der Presse bekannt. Sie wurde 2017 dafür verurteilt, weil sie auf ihrer Homepage Frauen darüber informiert hat, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Sie wurde zu einer Geldstrafe verurteilt und ging in Berufung.
Lena* (Betroffene):
„Ich empfinde Scham, Wut und endlose Traurigkeit. Mir geht es mit der Entscheidung bis heute schlecht.“
Liebe Lena*, herzlichen Dank, dass du deine Geschichte erzählen möchtest. Es ist kein leichtes Thema. Umso mehr wünsche wir uns, dass wir darüber sprechen, aufklären und es von mehreren Seiten beleuchten. Bitte erzähle uns: Wie alt warst du, als du ungeplant schwanger wurdest?
Damals war ich 16 Jahre alt.
Ich wollte weder seine noch meine Zukunft aufs Spiel setzen.
In welcher Beziehungssituation hast du dich damals befunden? Was hat der Kindsvater zu der Schwangerschaft gesagt?
Nach meinem Schulabschluss bin ich für ein Jahr ins Ausland, nach Amerika, gegangen und habe schon beim Hinflug gewusst, irgendetwas stimmt nicht. Ich hatte damals einen Freund. Von diesem trennte ich mich, ohne ihm mitzuteilen, dass ich schwanger war. Ich konnte nicht unsere beider Zukunft auf Spiel setzen. Dachte ich damals. Heute denke ich anders.
Wann war für dich klar: Ich lasse einen Schwangerschaftsabbruch durchführen? Und wie war die Vorbereitung darauf für dich? War es unkompliziert, einen Beratungstermin zu bekommen und einen Arzt/ eine Ärztin zu finden?
Da ich mich im Ausland befunden habe, war es in erster Linie schonmal schwierig überhaupt, die Schwangerschaft bestätigen zu lassen. Mit 16 hat man im Ausland einfach nicht viele Rechte und meine Gastmutter wusste, dass ich schwanger war und hätte alles getan, um eine Abtreibung zu verhindern.
Abtreibung: Es gab kein Beratungsgespräch.
Es war für mich keine klare Entscheidung. Mir wurde allerdings von meiner deutschen Familie sehr klar suggeriert, dass das nun so laufen muss und dass sonst meine Zukunft den Bach runtergehen würde. Es gab keine Vorbereitung. Ein Beratungsgespräch in dem Sinne hat nicht stattgefunden. Die Worte, die kurz vor der OP mit mir gewechselt wurden, à la „Das ist jetzt der letzte Moment, wo du dich anders entscheiden kannst!“ habe ich mit meinen Fremdsprachenkenntnissen aus der Schule kaum wahrgenommen und verstanden schon gar nicht.
Erinnerst du dich noch daran, wie du den Tag des Eingriffs erlebt hast?
Ich erinnere mich nur an das nette Personal, an den chirurgischen Sauger und an die Demonstrant*innen, die vor der Klinik gegen Abtreibungen auf und ab gingen. Den Tag habe ich nur sehr vage in Erinnerung.
Mir geht es bis heute mit dieser Entscheidung schlecht.
Was empfindest du heute diesbezüglich? Wie geht es dir?
Ich empfinde Scham, Wut und endlose Traurigkeit. Mir geht es mit der Entscheidung bis heute schlecht und jeden Tag denke ich an das Baby und dass es jetzt schon 18 Jahre alt wäre. Ich weiß, dass es falsch war, aber noch viel schlimmer finde ich, dass ich mit keinem reden konnte und bis heute nicht kann. Das Thema Abtreibung wird verurteilt und angefeindet, also erzählt man es niemandem und macht alles mit sich alleine aus.
* Name von der Redaktion geändert
Abtreibung – Das Interview mit der Allgemeinärztin Kristina Hänel:
„Nun habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, den Frauen, die zu mir kommen, in ihrer schweren Lage zu helfen.“
Liebe Frau Hänel, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, uns Rede und Antwort zu einem doch sehr emotionalen und heiß diskutierten Thema zu stehen. Viele Leser/innen werden Sie aus der Presse kennen. Kurz gesagt, Sie wurden vor einiger Zeit verklagt, weil Sie auf Ihrer Homepage darüber informiert haben, dass Sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Sie wurden letztendlich auch dafür verurteilt. Wie ist es Ihnen in dieser Zeit ergangen? Ist Ihnen viel Hass entgegengeschlagen? Oder hat die breite Unterstützung überwogen?
Ich habe viel erlebt: die Presse, die vielen Veranstaltungen, Ehrungen für mein Engagement. Neben der großartigen Unterstützung von überall – zum Teil habe ich sehr persönliche Zuschriften erhalten – gab es auch Anfeindungen, Beschimpfungen und Morddrohungen.
So etwas steckt man nicht so leicht weg, aber ich lasse mich nicht einschüchtern und ziehe meine Kraft aus den vielen zum Teil sehr emotionalen Zuschriften, die mich bestärken und mir zeigen, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Menschen, die mir davon berichten, dass ihre Mutter damals in der illegalen Zeit an einer Abtreibung verstorben sei und die mich aus dem Altersheim bitten, auf keinen Fall aufzuhören.
Abtreibung: Es geht um die Gesundheit und das Leben von Frauen.
Sie sind letztendlich verurteilt worden. Wie ist es dann weitergegangen?
Das Interesse der Medien an meinem Fall wurde durch meine Verurteilung am Amtsgericht noch einmal deutlich gesteigert. Nach Ereignissen wie der Bekanntgabe des ersten Entwurfs der Ergänzung des 219a habe ich an einem Tag bis zu 17 Interviews gegeben. Das war eine enorme Belastung, weil ich ja weiterhin praktiziert habe. Es war mir aber immer wichtig, möglichst alle Gelegenheiten zu nutzen, um über meinen Fall zu sprechen, um damit das Schweigen zu brechen. Der Schwangerschaftsabbruch ist noch immer ein Tabu, das nur durch Reden, durch Aufklärung und Information überwunden werden kann.
Es geht um die Gesundheit und das Leben von Frauen. Auch die WHO sagt, dass Frauen ein uneingeschränkter Zugang zu Informationen und zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen zur Verfügung gestellt werden soll. Mittlerweile liegt mein Fall dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main vor, dessen Urteil wir in Kürze erwarten.
Frauen machen sich viele Gedanken, bevor sie diesen Schritt gehen.
Jetzt ist der ‚allgemeine‘ Vorwurf ja immer, dass Sie (und auch alle anderen Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen) Leben ‚verhindern‘ statt schützen. Bitte erzählen Sie uns: Was ist Ihre Intention? Warum führen Sie Schwangerschaftsabbrüche durch?
Wenn man sich wie ich schon so lange mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch auseinandersetzt und mit so vielen Frauen gesprochen hat, die diese Entscheidung getroffen haben, dann weiß man, dass sich Frauen viele Gedanken machen, bevor sie diesen Schritt gehen.
Die vielen individuellen Schicksale würden wohl die meisten berühren, wenn sie sie kennen würden. Nun habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, den Frauen, die zu mir kommen, in ihrer schweren Lage zu helfen und die bestmögliche medizinische Behandlung zu bieten, um ihre Gesundheit, ihr Leben zu schützen. Dass sie ihre Schwangerschaft nicht austragen können oder wollen, haben die Frauen doch schon entschieden, wenn sie bei uns einen Termin zum Abbruch vereinbaren.
Bei den Anrufen stellen wir aber immer wieder fest, dass den Frauen wichtige Informationen fehlen, die sie dann von uns erhalten. Ich unterstütze jede Frau in ihrer Entscheidung unabhängig davon, wie sie ausfällt.
Abtreibung: Es bleibt das Bild einer unmündigen Frau.
Man kann sagen, dass Sie den Stein ins Rollen gebracht haben, dass der §219 zwar
weder abgeschafft noch wirklich verändert wurde, sondern um den ‚Ausnahmetatbestand‘ ergänzt wurde, dass Ärzt*innen darüber informieren dürfen, dass sie Abbrüche durchführen, allerdings keine weiteren Informationen dazu geben dürfen. Wie ist ihre Einschätzung diesbezüglich? Reicht Ihnen das?
Dass der 219a in der Weise ergänzt wird, wie es nun geschehen ist, war sicher nie mein Ziel. Mein Ziel war eine substantielle Verbesserung für Frauen und ihre Ärzt*innen. Auch nach der Erweiterung des Strafrechtparagraphen ist meine seriöse Information noch immer eine Straftat, was vollkommen absurd ist. Außerdem bleibt das Bild der unmündigen Frau, die sich durch vermeintliche Werbung für Abtreibungen, zu einem solchen verleiten lässt.
Um diese Werbung ist es nie gegangen, niemand von uns Ärztinnen hat in dem Sinne „geworben“, wir haben lediglich sachlich und seriös informiert, was sogar das Gericht bestätigt hat. Zudem ist die Vorstellung, Frauen würden sich durch „Werbung“ zu einem Abbruch verleiten lassen, eine zutiefst entwürdigende Vorstellung, die die oft schwierige Lage der Frauen negiert, die ja mehrheitlich bereits Kinder haben. Frauen werden diskriminiert und Ärzt*innen zu Unrecht kriminalisiert.
Ich wünsche jeder Frau, dass sie ihre Entscheidung ohne Druck treffen kann.
Gibt es etwas, das Sie Frauen, die sich in der Notsituation einer ungewollten
Schwangerschaft befinden, mit auf den Weg geben möchten?
Ich wünsche jeder Frau in dieser Situation, dass sie die Möglichkeit hat, für sich und ohne äußeren Druck eine Entscheidung zu treffen. Die meisten anfangs ungewollten Schwangerschaften werden ja ausgetragen, weil die Frauen sich entscheiden, Mutter zu werden und zu dem Schluss kommen, dass sie die Kraft für ein Kind aufbringen können.
Diejenigen, die das nicht können und sich das ehrlich eingestehen, übernehmen mit ihrer Entscheidung gegen die Schwangerschaft ebenso Verantwortung. Diese Entscheidung ist von jedem und jeder zu respektieren. Leider weiß ich aber, dass das in der Realität oft anders aussieht und Frauen auf ihrer Suche nach Hilfe nicht gut behandelt werden. Ich möchte daher den Frauen sagen, dass sie auf sich selbst hören sollen. Nur sie können wissen, was das Richtige für sie ist. Ich wünsche mir, dass Kinder, die auf die Welt kommen, gewünscht und geliebt sind.
Klara* (Betroffene):
„Ich glaube, dass keine Frau sich eine solche Entscheidung leicht macht, sondern hingegen immer das Beste für sich, das Ungeborene und vielleicht auch ihren Partner möchte.“
Liebe Klara*, herzlichen Dank, dass du uns deine Geschichte erzählen möchtest. Bitte erzähle uns von Anfang an: Wie alt warst du und wie war deine Lebenssituation zu diesem Zeitpunkt?
Zu dem Zeitpunkt war ich gerade 21 Jahre alt. Ich hatte kurz zuvor den Bachelor gemacht und mich dann nochmal entschieden, ein anderes Studienfach zu beginnen. Ich befand mich also im ersten Semester des Jura-Studiums, welches ja bekanntlich anstrengend ist und lange dauert.
Es ging zu dem Zeitpunkt einfach nicht.
Mit meinem Freund war ich zu dem Zeitpunkt seit 6 Jahren zusammen, wir kennen uns aus der Schule. Zum Studium sind wir gemeinsam in eine Stadt im Süden Deutschlands gezogen, wir waren neu dort, unsere Familien waren (relativ) weit weg, einen festen Freundeskreis in der neuen Stadt hatten wir damals noch nicht. Auch unsere finanzielle Situation (bei zwei Studenten) war oftmals eher angespannt.
Was waren deine Gefühle bezüglich dieser Schwangerschaft? Kannst du sie uns beschreiben?
Schwierig zu sagen. Ich hatte schon so einen Verdacht, habe mich anderes gefühlt und habe dann getestet. Tatsächlich in der Uni, weil ich nicht wollte, dass mein Partner von meinem Verdacht erfährt, ich wollte ihn nicht „unnütz beunruhigen“. Ich habe damals mit der Pille verhütet, aber irgendwie ist es doch passiert, wie genau kann ich mir bis heute nicht erklären.
Abtreibung: Positive Gefühle hatte ich gegenüber dieser Schwangerschaft nicht.
Ich war zunächst völlig überfordert, bin dann aber sofort zum Arzt gegangen um es bestätigen zu lassen. Positive Gefühle gegenüber dieser Schwangerschaft hatte ich nie, es war nie auch nur der kleinste Funken Freude da, von Anfang an nur Sorgen, wie ich, wie wir das stemmen sollten.
Was hat dein Partner zu der Schwangerschaft gesagt?
Mit meinem Freund habe ich dann gesprochen, nachdem ich die definitive Bestätigung vom Arzt hatte. Er war nicht überrascht, sondern meinte, er hätte schon gespürt, dass ich irgendwie „anderes“ gewesen wäre. Wir haben lange darüber gesprochen, was wir tun sollten. Gemeinsam haben wir entschieden, die Schwangerschaft zu beenden.
Er hat mir jedoch nie das Gefühl gegeben, diese Entscheidung treffen zu müssen, im Gegenteil hat er mir mehrfach versichert, dass er jedwede Entscheidung zu 100 Prozent mittragen würde. Dafür bin ich ihm bis heute dankbar.
Ich hatte das Gefühl, noch keine gute Mutter zu sein.
Wann war für dich klar: Ich möchte diese Schwangerschaft nicht fortführen?
Insgeheim schon von Anfang an. Es sprach soviel dagegen, zu diesem Zeitpunkt ein Kind zu bekommen, dass es für mich tatsächlich niemals eine reale Möglichkeit war. Begonnen dabei, dass wir beide noch Studenten waren, über unsere finanzielle Situation bis hin zu der fehlenden familiären Unterstützung – bei mir aufgrund der Entfernung, bei meinem Partner aufgrund eines Zerwürfnisses.
Allerdings muss ich auch zugeben, dass ich das Kind auch einfach nicht wollte. Manche mögen das vielleicht als egoistisch empfinden, aber ich hatte das Gefühl, noch keine gute Mutter sein zu können. Ich hatte und habe auch immer noch viel vor, dass ich für mich tun möchte. Ich war damals einfach nicht bereit, die Verantwortung für ein Kind zu übernehmen. Es waren also viele Gründe, die da zusammenkamen.
Im Beratungsgespräch rund um die Abtreibung wurden mir Vorwürfe gemacht
Und wie ging es dann weiter? Wie war die Vorbereitung auf den Eingriff?
Ich war bei dem gesetzlich vorgeschriebenen Beratungsgespräch, welches für mich leider keine gute Erfahrung war – ich bin wohl an eine schlechte Beraterin geraten, welche mir irgendwann erklärte, wer zu dumm zum Verhüten sei, möge bitte auch die Konsequenzen tragen. Ich antwortete dann nur, dass ich mein Kind niemals als Strafe für ein vielleicht leichtsinniges Verhalten betrachten möchte und bin gegangen.
Mein Partner war für mich da.
Diese Geringschätzung tat mir allerdings sehr weh. Den Beratungsschein habe ich schließlich von einer anderen Institution erhalten. Mein Arzt war wunderbar, hat meine Entscheidung nie hinterfragt und mir schnellstmöglich einen Termin besorgt, der dann auch schnell über die Bühne ging. Ich habe mich für einen Eingriff unter Vollnarkose entschieden. In der Klinik wurde ich von den Angestellten ausnahmslos gut behandelt. Etwa zwei Stunden nach dem Eingriff konnte ich nachhause gehen und habe quasi zwei Tage nur geschlafen. Mein Partner hat mich zu allen Terminen begleitet.
Im Nachhinein: Wie stehst du heute zu deiner Entscheidung? Gibt es Wehmut? Oder das sichere Gefühl: Nein, es war nicht leicht, aber gut so.
Ich bin mir bis heute völlig sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Manchmal, wenn ich von Bekannten höre, dass sie ihr erstes Kind erwarten, ist schon eine leichte Wehmut da. Auch sprechen mein Freund (wir haben den Abbruch gemeinsam gemeistert und sind heute über neun Jahre zusammen) gelegentlich über das „Was wäre wenn“.
Wir wollen in Zukunft Kinder bekommen, aber wissen, dass es damals für uns nicht richtig gewesen wäre. Wir waren zu keinem Zeitpunkt froh über die Schwangerschaft und es wäre für uns dem Kind unfair gegenüber gewesen, es trotzdem zu bekommen. Es war für uns das Richtige.
Abtreibung: Ich glaube, dass keine Frau sich diese Entscheidung leicht macht.
Ich möchte aber zuletzt noch einmal betonen, dass es in keiner Weise eine leichte Entscheidung war, es war hingegen unsagbar schwer und ich wünsche es niemandem, eine solche Entscheidung treffen zu müssen. Was ich bis heute am Schlimmsten finde, ist das ständige Gefühl mich rechtfertigen zu müssen, sei es damals gegenüber der Beratungsstelle oder auch gegenüber Freunden. Ich glaube, dass keine Frau eine solche Entscheidung leicht fällt, sondern hingegen immer das Beste für sich, das Ungeborene und vielleicht auch ihren Partner möchte und genau deshalb sollte man diese Entscheidungen auch stets voll und ganz und unhinterfragt akzeptieren.
* Name von der Redaktion geändert
Abtreibung – Das Interview mit der Kinderärztin und Radiologin Dr. med. Deniz Winter
„Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass Abtreibungsverbote die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nicht reduzieren.“
Liebe Frau Dr. Winter, die Debatte rund um den Schwangerschaftsabbruch läuft heiß. Kein Wunder – ein extrem emotionales Thema. Ich denke so oft: Bitte, bitte verurteilt die Frauen, die sich dafür entscheiden, nicht. Ihr kennt die Geschichte nicht. Dazu ist es ihr Körper, ihre Entscheidung: Was ist Ihre Haltung dazu?
Ich sehe das genauso. Wie sich eine ungewollte Schwangerschaft anfühlt und warum genau sie die Schwangerschaft abbrechen, wissen nur die betroffenen Frauen selbst. Sonst niemand!
Abtreibung: Niemand kann eine schwangere Frau dazu zwingen, eine liebevolle und verantwortungsbewußte Mutter zu werden.
Im Jahr 2018 waren 60% der abtreibenden Frauen in Deutschland Mütter – sie wußten also ganz genau, was es bedeutet, ein Kind großzuziehen. Niemand konnte besser beurteilen als sie, ob ihre Käfte und Finanzen für ein weiteres Kind ausreichten. 40% dagegen hatten kein Kind und wollten auch keines.
Dafür wurden verschiedene Gründe genannt: Die Verhütungsmittel hatten versagt, sie lebten allein oder in einem unsicheren Beziehungsstatus, waren finanziell abhängig oder einer Mutterschaft gegenüber generell abgeneigt. Die genauen Gründe sind wichtig, wenn die Abtreibungsrate in Deutschland über Präventivmaßnahmen noch weiter gesenkt werden soll. Doch im Einzelfall gilt: Niemand kann eine schwangere Frau dazu zwingen, eine liebevolle und verantwortungsbewußte Mutter zu werden. Das muss sie selbst wollen!
Welche Erfahrungen haben Sie als Kinderärztin gemacht? Was passiert ihrer Erfahrung nach, wenn Kinder „ungewollt“ sind?
Von Misshandlung, Missbrauch und Vernachlässigung sind gehäuft die Kinder betroffen, die ihre Eltern überfordern oder von ihnen abgelehnt werden (1)(2)(3). Das beginnt schon vor der Geburt: Um 9 Monate lang auf schädliche Substanzen wie Nikotin, Alkohol und Drogen aus Rücksicht auf das Kind zu verzichten, muss die Frau sehr motiviert sein. Im Fall einer ungewollten Schwangerschaft ist sie das aber nicht.
Ungewollte Kinder: „Die Dunkelziffer der der Misshandlung und des Missbrauchs ist viel größer.“
Das entspricht auch meiner Erfahrung. Ich habe körperlich und psychisch misshandelte sowie vernachlässigte Kinder gesehen, darunter einige Säuglinge, aber kaum jemals dazugehörige reuevolle Eltern. Wenn die Eltern Angst hatten, dann vor den juristischen Konsequenzen ihres Handelns, fast nie oder viel zu spät um das Kind! Und man darf nicht vergessen, dass in der Klinik hauptsächlich die Kinder mit den schwerwiegenden Verletzungen behandelt werden.
Die weniger gravierenden Fälle werden kaum ärztlich vorgestellt, d.h. die Dunkelziffer der Misshandlung und des Missbrauchs ist viel größer. Viele dieser Kinder bleiben ihr Leben lang gezeichnet, weil sie keine oder eine schlechte Schulbildung haben und als Erwachsene häufiger arbeitslos sind (4). Nicht selten entwickeln sich aus früheren Opfern spätere Täter*innen (3).
Abtreibung: §218 des Strafgesetzbuches regelt den Schwangerschaftsabbruch.
Könnten Sie einmal kurz erklären: Wie ist der rechtliche Hintergrund in Deutschland. Bis wann darf ich als Frau abtreiben?
In Deutschland regelt der §218 des Strafgesetzbuches den Schwangerschaftsabbruch. Generell sind Abbrüche unter Androhung einer Haft-bzw. Geldstrafe sowohl für die Schwangere als auch die durchführenden Ärzt*innen erst einmal rechtswidrig, unter 3 Bedingungen aber straffrei. So erfordert die sogenannte Beratungsregel, dass die Schwangere sich nach Maßgabe des Schwangerenkonfliktgesetzes mindestens 3 Tage vor dem Abbruch, z.B. bei profamilia, beraten lässt, dies bescheinigen kann und der Abbruch auf ihr Verlangen innerhalb von 12 Wochen (in Ausnahmefällen 22 Wochen) nach der Empfängnis ärztlich durchgeführt wird.
Dann gibt es die kriminologische Indikation, wenn die Schwangerschaft Folge eines Missbrauchs oder einer Vergewaltigung ist, wobei der Abbruch auch hier innerhalb von 12 Wochen nach der Empfängnis erfolgen muss. Und als letztes gibt es noch die mütterliche medizinische Indikation, wenn der Schwangerschaftsabbruch erforderlich ist, um schwerwiegende Beeinträchtigungen oder eine Lebensgefahr der Schwangeren abzuwenden. Nur im letztgenannten Fall sind auch Spätabbrüche straffrei, bei denen mehr als 12 Wochen nach der Empfängnis vergangen sind.
„Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass Abtreibungsverbote die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nicht reduzieren.“
Und welchen Weg gehen schwangere Frauen, wenn Sie keine Hilfe bekommen?
Sie versuchen sehr oft trotzdem, die Schwangerschaft zu beenden. Wenn sie das Geld dazu haben, lassen sie sich im Ausland helfen, wo die Abtreibungen legal sind und unter sicheren Bedingungen erfolgen. Bevor die Abtreibung bei uns straffrei möglich war, reisten die deutschen Frauen in die Niederlande.
Noch vor kurzem fuhren die irischen Frauen nach Großbritannien und aktuell suchen die polnischen Frauen Hilfe in Deutschland. Viele Frauen, v.a. in Afrika, Asien und Lateinamerika, sind aber so arm, dass sie eine illegale Abtreibung unter unsicheren oder lebensgefährlichen Bedingungen riskieren (5). Dabei fehlen hygienische Mindeststandards oder die Ausführenden sind nicht medizinisch vorgebildet oder verwenden veraltete, schlimmstenfalls auch nicht geeignete Methoden. Pro Jahr sterben dadurch weltweit zehntausende Frauen (6). Und obgleich die schwangeren Frauen das Risiko kennen, nehmen sie es trotzdem auf sich! Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass Abtreibungsverbote die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nicht reduzieren. Oft wird sie sogar höher, weil den Frauen in diesen Ländern regelmäßig auch der Zugang zu Verhütungsmitteln fehlt.
Schwangerschaftsabbruch: „Er ist und bleibt somit extrem stigmatisiert.“
Viele Frauenärzte machen die Abbrüche ja nicht mehr. Woran liegt es, dass immer weniger Frauenärzte die Abbrüche durchführen? Was wäre Ihrer Meinung nach der richtige Weg?
Die Bundesärztekammer führt den eklatanten Rückgang an Abtreibungsärzt*innen auf den Druck militanter Abtreibungsgegener*innen zurück. Auf Basis der Meinungsfreiheit veröffentlichen diese neben ihren Ansichten auch Diffamierungen weitgehend ungehindert. Vor kurzem zeigten sie noch gezielt die Ärzt*innen an, die den Schwangerschaftsabbruch als Leistung auf ihrer Homepage nennen. Das zog wegen des Werbeverbots zum Schwangerschaftsabbruch (§ 219a) auch Geldstrafen für die betroffenen Ärzt*innen nach sich.
Durch eine minimale Gesetzesänderung ist das jetzt zwar nicht mehr möglich, Informationen zum Schwangerschaftsabbruch sind den Ärzt*innen aber weiterhin untersagt. Er ist und bleibt somit extrem stigmatisiert. Deshalb fürchten viele der Frauenärzt*innen den damit verbundenen Ärger. Abgesehen davon ist die Abtreibung als formell krimineller Tatbestand kein Eingriff, der regelhaft in der gynäkologischen Facharztausbildung gelehrt wird. Viele Frauen*ärztinnen können ihn deshalb gar nicht durchführen. Und darum wird die Zahl der Abtreibungsärzt*innen in Kürze noch weiter zurückgehen, weil viele der Ärzt*innen sich dem Rentenalter nähern.
„Aktuell werden die Interessen der Abtreibungskritiker*innen immer noch höher gehandelt als das Informations- und Selbstbestimmungsrecht der ungewollt schwangeren Frau.“
Ich persönlich halte die Stigmatisierung des Schwangerschaftsabbruchs für das größte Problem. In Italien z.B. ist die Abtreibung zwar legal, aber so verpönt, dass über 70% der Frauen*ärztinnen sich weigern, ihn durchzuführen. Manche Italienerinnen sind schon so verzweifellt, dass sie Hilfe im Ausland oder in illegalen Methoden suchen (7). In den Niederlanden dagegen ist der Schwangerschaftsabbruch bis zur 22. Schwangerschaftswoche erlaubt. Dennoch ist die Abtreibungsrate gering. Dort gibt es aber zusätzlich auch eine gute Sexualaufklärung und einen ungehinderten Zugang zu preiswerten Verhütungsmitteln.
Langfristig halte ich das niederländische Konzept für das beste, um allen Bedürfnissen gerecht zu werden: Dem nach einer sicheren Abtreibung der Frauen, die für sich keine Alternative dazu sehen. Und dem nach einer niedrigen Abtreibungsrate der Abtreibungskritiker. Davon sind wir in Deutschland aber noch weit entfernt. Aktuell werden die Interessen der Abtreibungskritiker*innen immer noch höher gehandelt als das Informations- und Selbstbestimmungsrecht der ungewollt schwangeren Frau.
Quellen:
1 Das Leben unerwünschter Kinder, Amendt, Gerhard; Sachbuch Fischer Verlag 1990
2 www. polizei-beratung/themen- und- tipps/gewalt/kindesmisshandlun
3 Auswirkungen von Gewalt, Vernachlässigung und Missshandlung auf Gesundheit und Entwicklung von Kindern und Jugendlichen; Prof. Dr. med. h.c. Dietrich Niethammer, 31.05.2007
4 www.kinderschutzhotline.de/fileadmin/downloads/Witt.pdf
5 www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/preventing-unsafe-abortion
6 www.guttmacher.
7 www.spiegel.de/karriere/italien-aerzte-verweigern-abtreibungen-aus-karrieregruende
8 dutchreview.
Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz zum Thema Abtreibung
„Grundlage für die Position der katholischen Kirche ist die Überzeugung, dass der Mensch vom Zeitpunkt der vollendeten Verschmelzung der Zellkerne Träger unverlierbarer Menschenwürde ist. Daher ist für uns ungeborenes Leben uneingeschränkt zu schützen – was natürlich nur zusammen mit der Mutter möglich ist. Die Kirche sieht gleichzeitig auch die Hilfe für Frauen, die sich aufgrund ihrer Schwangerschaft in einer Notlage oder in einer Konfliktsituation befinden, als zentralen Teil ihres pastoralen Auftrags an. Daher leistet sie flächendeckend in Deutschland in vielen tausenden Fällen pro Jahr Beratung und Hilfe für Frauen in Schwangerschaftsfragen und Schwangerschaftskonflikten mit dem Bestreben, durch eine umfängliche Beratung und das Ernstnehmen von Sorgen und Nöten Frauen in schwierigen Lebenssituationen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zur Seite zu stehen und sie in einem Ja zum Leben zu unterstützen.“
Falls ihr Hilfe sucht – bei profamilia findet ihr mehr Informationen rund um das Thema Schwangerschaftsabbruch.
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