Beziehung

Weibliche Lust: „Eine entflammte Frau ist magisch.“

von
Dorothee Dahinden

Weibliche Lust: Wieso ist das Thema eigentlich mit so viel Scham bedeckt? Frauenkreis-Gründerin Kerstin Schreier-Gemkow mit spannenden Antworten.


Weibliche Lust: „Die Entfremdung von einem natürlichen Zugang zu unserer Lust hat die Entfremdung von uns selbst zur Folge!“

Kerstin Schreier-Gemkow, Coach, Paarberaterin & Frauenkreis-Gründerin

Anmerkung der Redaktion: Der Inhalt inkludiert ebenso gleichgeschlechtliche Beziehungen. Allerdings spricht Kerstin hier aus ihrer Erfahrung als Frau in Beziehung zu einem Mann.


Liebe Kerstin, warum sollten wir über das Thema „weibliche Lust“ mehr reden?

Foto: Jan Gemkow @gemkow_

Weil es Spaß macht (Scherz). Nein, ganz einfach: so lange sich Frauen aufgrund medial geprägter Bilder unwohl fühlen in ihrem Körper und viele Frauen kein liebevolles Selbstbild in sich tragen, haben wir es mit einer zu Recht großen Frustriertheit bezüglich der eigenen Lust zu tun. Jedoch wird Frau damit ihr Zugang zum eigenen schöpferischen Potential, zu einem gesunden Körperbewusstsein und zuletzt zur natürlichen Ekstase verwehrt.

Eine Frau, die keine Verbindung zum eigenen Lustpotential hat, ist wie abgeschnitten von ihrer natürlichen Energiequelle. Und dies hat Auswirkungen auf alle anderen Lebensbereiche, in denen sich dann die innere Unzufriedenheit ausdrückt. Kurzum: solange sich Frauen einen Kopp darum machen, wie sie beim Sex aussehen anstatt sich daran zu erfreuen, wie viel Lust der eigene Körper erleben kann, gibt es noch viel zu tun. Zumal wir als Mütter dazu aufgerufen sind, ein lebendiges Vorbild für unsere Kinder zu sein.

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Weibliche Lust: Schon als Jugendliche habe ich gemerkt: nicht jede Frau hat so einen freien Zugang wie ich dazu.

Du hast mir erzählt, dass du dich seit vielen Jahren mit dem Thema beschäftigst. Wie kam es dazu und inwiefern spielt das Thema in deinem Job und in deinem Privatleben eine Rolle?

Nun, die Selbstforschung der eigenen sexuellen Energien ist quasi seit Jugendzeit mein liebstes Hobby. Ich wurde von Freundinnen oft zu diversen Themen rundum Sex befragt und stellte verwundert fest, dass nicht jede so einen freien, intuitiven Zugang zur eigenen Lust hat wie ich. Das warf Fragen bei mir auf, warum das so ist. Die kognitive Auseinandersetzung mit Formen von Sexualität, Beziehungs- und Liebeskonzepten kam dann während des Studiums hinzu.

Auf meiner Reise durch Südostasien habe ich viel gelernt.

Ich habe ursprünglich Ethnologie und Literaturwissenschaften studiert, interessiert hat mich aber vor allem, wie drückt sich Liebe in unterschiedlichen Kulturen und Zeiten aus. Dazu gehörten für mich nicht nur romantische Vorstellungen, sondern vor allem die Konfrontation mit Schattenseiten im interkulturellen Vergleich. Während einer halbjährigen Reise quer durch Südostasien habe ich meine Feldforschung zum Thema „das kulturelle Phänomen der Prostitution am Beispiel Südostasien“ gemacht und tatsächlich Interviews sowohl mit Prostituierten als auch mit Freiern durchgeführt. Ein prekäres Feld, das mir sehr nahe gegangen ist und ein hohes Maß an Wertfreiheit abverlangte.

Tantrische Arbeit hat meine Beziehung sehr vertieft.

weibliche Lust
Foto: Jan Gemkow @gemkow_

Seit ich in Kiel den Gefährtinnenkreis leite und ich als systemischer Coach und Mentorin für weibliche Potentialentfaltung arbeite, fließt meine persönliche Passion und meine Berufung endlich zusammen. Privat bin ich seit einigen Jahren gemeinsam mit meinem Mann in tantrischer Arbeit, was zu einer enormen Persönlichkeitsentwicklung führt und unsere Liebe sehr vertieft.

Uns wurde unsere natürliche Sexualität gleich zweimal genommen.

Was ist dein Eindruck – wie steht es denn gesellschaftlich um die Lust der Frau?

Da möchte ich etwas weiter ausholen und nicht nur die weibliche Lust separat betrachten, sondern Sexualität generell, die ebenso den Mann meint. Denn was uns alle betrifft, je nach Prägung, Erziehung, kulturellem Kontext etc. ist, dass uns in gewisser Hinsicht eine natürliche Sexualität gleich zweimal genommen wurde. Zum einen durch die Moralvorstellungen der Kirche, die uns über Jahrhunderte Scham und Schuld eintrichterte und uns für unsere Triebe die Hölle prophezeite. Das zweite Mal durch die Pornoindustrie, die Sexualität sehr reduziert und losgelöst von echter Intimität darstellt und uns schon früh zugänglich in unserer Jugend mit Bildern konfrontiert, wie Lust auszusehen hat. Die so geprägten Bilder von Sexualität durch Pornographie und kirchlicher Institution könnten zwar unterschiedlicher nicht sein, sie haben jedoch gemeinsam, dass sie in unseren intimsten Bereich vordringen und uns die naturgemäße Reifung von Lustempfindung nehmen.

Unsere Sexualität ist entwurzelt.

Die Entfremdung von einem natürlichen Zugang zu unserer Lust hat die Entfremdung von uns selbst zur Folge. Mit traurigen bis hin zu grausamen Konsequenzen. Ich möchte soweit gehen, dass ich in den Auswüchsen von abgespaltener, weil verdammter, sexueller Triebe, die Ursache für Missbrauch sehe. Die weltweit ans Tageslicht kommenden Missbrauchsskandale weisen uns aktuell dringend darauf hin, dass wir gesellschaftlich dazu aufgerufen sind, uns mit Sexualität auf einer tieferen Ebene auseinander zu setzen und zum Schutz unserer Kinder eine Verantwortung tragen für den Umgang mit unserer Triebkraft. Denn nur, was man verdrängt, sucht sich früher oder später einen Weg.

„Die pure Geilheit, die entfesselte Lust der Frau, ist dem Patriarchat gefährlich.“

In der Werbung werden halbnackte Hintern gezeigt, aber darüber reden, dass wir Lust auf Sex haben – dafür gibt es gefühlt keinen Raum… Warum ist das so ein Tabuthema? Was ist deine Erklärung?

Come on, sex sells. Objektifizierte Lust, reduziert auf das, was sich konsumieren und vermarkten lässt, ist kapitalistisch nutzbar und daher unseren vorherrschenden Gesellschaftsstrukturen dienlich. Aber die pure Geilheit, die entfesselte Lust der Frau, ist dem Patriarchat gefährlich. Denn eine Frau, die ihre natürliche Sexualität lebt, ist sich ihrer Wirksamkeit bewusst, erinnert sich ihrer magischen Natur und damit ihrer innewohnenden Macht. Eine entflammte Frau ist magisch – diese Wirkung fürchtet nicht nur der Mann, der sich der weiblichen Lust ausgeliefert sieht, sondern auch Artgenossinnen, die selbst nicht in Kontakt stehen zur eigenen Lust, und womöglich eine Gefahr sehen in einer sexuell bewussten Frau.

Weibliche Lust: der weibliche Orgasmus wurde als „Hysterie“ benannt.

Es mag zwar auf den ersten Blick weit hergeholt sein, aber wir haben es nach wie vor mit tief verwurzelten Machtverstrickungen zwischen den Geschlechtern zu tun. Weibliche Lust wurde in der Geschichte seit jeher domestiziert oder stigmatisiert. Im 19. Jhd. wurde beispielsweise der weibliche Orgasmus als „Hysterie“ benannt und galt als medizinisch behandlungswürdig (hello…). (Anmerkung der Redaktion, 13.06. 2021: Wir wurden durch einen Kommentar (siehe unten) darauf aufmerksam gemacht, dass diese Aussage falsch sei. Im 19. Jahrhundert sollten Orgasmen gegen die weibliche Hysterie „helfen“.)

Irgendwie gibt es ja immer dieses Bild: Männer haben immer Bock, Frauen nie. Das stimmt aber doch so gar nicht… Diese Aussage ist doch keine gesellschaftliche Sex-Schablone, die wir drüberlegen können. Woher kommt denn dieser Eindruck und diese Denke?

Klar, der potente Mann ist ein geiler Hengst, die orgastische Frau aber entweder eine Schlampe, geil im Bett, aber als Ehefrau ungeeignet. Oder aber die Frau ist nahezu frigide und hat Probleme. Ich hörte davon. Für mich ist dieses Bild aber schlichtweg ein Märchen, das absolut nichts mit meiner Realität zu tun hat. Ich muss dazu sagen, dass ich aber auch sehr freilassend erzogen worden bin und Sexualität frei von Scham, Schuld und Tabus entdecken durfte. Insofern kann ich auf die Frage vielleicht keine repräsentative Antwort liefern.

Ich sehe Kommunikationsschwierigkeiten.

Gesellschaftlich mag jene Sex-Schablone durch patriarchale Strukturen geprägt worden sein, wie so vieles. Tatsächlich weist dieses Bild aber auf eine gewisse Kommunikationsschwierigkeit zwischen Mann und Frau hin, was Sexualität, Nähe und Verbundenheit betrifft. Denn ja, die Erregungskurven von Männern und Frauen sind in der Regel unterschiedlich. Würden wir uns aufrecht austauchen über unsere Phantasien und Bedürfnisse, über unsere geheimsten Wünsche, aber auch über unsere Wunden, über unsere Scham oder was auch immer uns daran hindert, uns frei und hemmungslos einzulassen, dann würden Mann und Frau, bzw. gleichgeschlechtliche Sexualpartner, wirkliche Intimität erleben. Das schafft Verbindung und ist die Basis für den geilsten Sex jenseits von Schablone.

Ich wünsche mir eine Liebesrevolution.

Foto: Jan Gemkow @gemkow_

So, was passiert denn konkret, wenn wir Frauen unsere Lust leben würden. Was denkst du?

Dann würden wir eine wahre Liebesrevolution erleben, den Grundstein für den Frieden zwischen den Geschlechtern. Und dies möchte ich verdammt noch mal erleben! Eine Frau, die in Verbundenheit mit ihrem Schoßraum ihre Lust lebt, ist auf besondere Weise getragen von innerer Zufriedenheit. Denn sie ist im Kontakt mit sich selbst, weiß ihre Gefühle und Bedürfnisse zu kommunizieren und ist fähig ihr Potential frei von Scham und Schuld auszudrücken.

Dies hat zur Folge, dass sie all ihre subtilen Machtspielchen entlarvt, mit denen sie zuvor versuchte, ihre Ziele zu erreichen. Wie viele Frauen (und natürlich auch Männer) reden negativ über ihre Partner und merken gar nicht, dass sie ihrer eigenen Beziehung damit ein Armutszeugnis ausstellen. Lieber Kaffeeklatsch mit den Girls und über den „Alten“ lästern, anstatt die Verantwortung zu übernehmen für das eigene Glück. Das ist nicht nur erbärmlich, sondern pures Gift und hat nichts mit Liebe zu tun.

Frauen sind zutiefst ekstatische Wesen.

Daher: eine Frau, die ihre Lust lebt und erkennt, dass sie ein zutiefst ekstatisches Wesen ist, wird sich selbst erkennen und sich auf allen Lebensebenen auf den Weg machen, ihr Leben so zu gestalten, dass es ihr entspricht. Dies ist ein zutiefst begehrenswerter Zustand und schenkt innere Freiheit von sämtlichen Abhängigkeiten.

Weibliche Lust: „Meine sinnlichen Fotos sind eine Einladung zur Befreiung der weiblichen Lust.“

Du arbeitest ja auch mit vielen sexy bzw. sinnlichen Fotos von dir. Welche Vision verfolgst du?

Sämtliche Fotos von mir entstehen aus Momentaufnahmen mit meinem Mann und sind ein spielerischer Ausdruck meiner Lebenslust und unserer Intimität. Eine Vision steckte ursprünglich nicht dahinter, nur pure Freude. Jedoch realisieren wir, dass wir als Paar auch andere inspirieren, Mut machen, dass Liebesglück wirklich erreichbar ist und wir scheinen die Sehnsucht nach wahrhaftiger Beziehung wecken.

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Foto: Jan Gemkow @gemkow_

Was die Social-Media Crowd, die uns folgt, bewegt, ist ja die authentische Verbundenheit, die sichtbar wird durch die Bilder. Es sind eben nicht einfach ein paar heiße Fotos von irgendeinem Fotografen, sondern die Tatsache, dass dort ein liebender Mann die Schönheit seiner Frau sieht. Dass wir nebenbei auch noch ganz reale Charaktere sind,eine Patchworkfamilie haben und keine heile Insta-Welt repräsentieren, bietet natürlich Identifikationsfläche. Insofern sagen wir doch einfach, meine sinnlichen Fotos sind eine Einladung zur Befreiung der weiblichen Lust.

Aufrichtige Gespräche sind heilsam.

Angenommen, eine Leserin denkt jetzt: Ich bin immer so müde, wie soll ich da noch an Sex denken. Was ist dein Rat? Wie können wir uns Lust verschaffen?

Da ist Zeit das Zauberwort, ganz einfach. Als Mütter mit Babys oder kleinen Kindern ist unser Nähebedarf oft gedeckt in den ersten Jahren. Je nach Kind werden wir ja regelrecht „bewohnt“ von unseren Nestlingen und das ist naturbedingt im Sinne der Bindung auch genau richtig so. Auch hier helfen aufrichtige Gespräche zwischen Paaren, aus denen Eltern geworden sind, und sich mit einer ganzen Palette an Anforderungen, Rollen und Verantwortung konfrontiert sehen. Beide müssen sich ja erst einmal wieder finden im Spannungsfeld Familie. Dass zunächst viele Bedürfnisse nach qualitativer Paarzeit, nach Nähe miteinander, aber auch nach eigenen Freiräumen, zu kurz kommen ist menschlich.

„Habt den Mut, euch neu gemeinsam auf Lust einzulassen.“

Wenn wir es aber schaffen, uns über all dies ehrlich auszutauschen, so entsteht bereits Nähe im Gespräch. Sobald es dann mit den lieben Kleinen irgendwie wieder möglich wird, rate ich Paaren gern dazu, sich wirklich fest zu verabreden und miteinander heilige Räume für Beziehungszeit zu schaffen. Ob im eigenen Schlafzimmer, im Lieblingsrestaurant oder mal im Hotel – die Entfaltung von Lust braucht einfach Raum und manchmal unbedingt etwas Distanz zum Alltag, damit wir einander wieder sehen können losgelöst von all diesen nervigen Alltagsfunktionen.

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Foto: Jan Gemkow @gemkow_

Also: Macht euch keinen Stress von Bildern, wie Sex auszusehen hat, sondern habt den Mut, euch neu gemeinsam auf Lust einzulassen. Gegenseitige Massagen, die nichts wollen außer Berührung und Slow Sex kann z.B. eine sehr schöne Brücke sein, um wieder in Kontakt zu kommen mit der eigenen Lust.

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