Erziehung

Verwöhnen? „Der erste Blick muss auf uns selbst gehen.“

Pädagogin & MutterKutter-Gastautorin Inke Hummel über gutes & schlechtes Verwöhnen. Autorin: Dorothee Dahinden

von
Dorothee Dahinden

Verwöhnen: Pädagogin und Gastautorin Inke Hummel nimmt sich dem Thema an.

Sie gibt Antworten auf Fragen, wie: Was steckt hinter der Sorge, ein Kind zu sehr zu verwöhnen? oder Was ist eigentlich schlechtes Verwöhnen? 


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„Der erste Blick muss auf uns selbst gehen. Nicht auf die anderen, nicht aufs Kind.“

Liebe Inke, also…dieser Spruch „Verwöhn dein Kind doch nicht so.“ – den fand ich immer gelinde gesagt besch*** und ich münze ihn nicht auf Materielles, sondern auf Liebe. Ich meine damit vor allem Momente, in denen ich das an den Kopf geklatscht bekommen habe, z.B. als wir unser Baby getragen und mit an den Tisch genommen haben. Da wurde zum Beispiel gesagt:  „Warum legst du dein Baby nicht ab? Das kann doch ruhig schlafen?“. Oder dieses „Warum begleitest du dein Kind in den Schlaf? Das würde mich ja nerven…“ – ich habe dann immer gedacht: Was hat das mit „Verwöhnen zu tun?“ Ich liebe mein Kind, kann ich es mit Liebe verwöhnen. Weißt du, was ich meine? Und wie geht es dir, wenn du den Spruch hörst?

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Verwöhnen
Inke Hummel, Pädagogin & Influencerin, Foto: Jens Unglaube

Ich habe da eigentlich drei Bereiche oder Phasen, in denen ich mit diesem Satz zu tun hatte oder habe: Erstmal als junge Mutter – und da hat der Satz mich ständig verunsichert: War irgendwas  von dem Reagieren auf mein Kind zu viel? Irgendwie ungesund? In meinem direkten Umfeld hat das  eigentlich niemand behauptet, aber doch war dieses Satz von Anfang an wie so eine dicke Mahnung in meinem Kopf und hat bestimmt zwei-, dreimal dafür gesorgt, dass mein Hirn mein Herz besiegt hat und ich etwas unterlassen habe aus Angst vor Inkonsequenz und Verhätscheln. Dann habe ich mich immer intensiver auch beruflich mit Bedürfnisorientierung auseinandergesetzt.

Ich habe im beruflichen Kontext lernen dürfen, dass es „schlechtes“ Verwöhnen gibt.

Dabei wurde mir dann klar, dass man diesen ollen Vorwurf wirklich ganz differenziert betrachten muss. Was diejenigen, die ihn sagen, unter Verwöhnen verstehen, ist nämlich ganz oft „Feinfühlig auf Bedürfnisse reagieren“ und damit im Grunde Liebe, wie du sagst, und auf jeden Fall wichtig, sinnvoll und niemals zu viel. Aber schließlich habe ich auch im beruflichen Kontext lernen dürfen, dass es „schlechtes Verwöhnen gibt“: nämlich, wenn wir nur vordergründig auf etwas einzugehen scheinen, bei dem unser Kind  signalisiert, dass es dies braucht, aber nicht wirklich dahintergucken. Fürs Kleinkindalter kann man das ganz einfach sehen: Schreit unser Kleinkind jedes Mal, wenn es zu Fuß einen Weg zu machen gilt, und tragen wir es dann immer, so dass es keine Chance hat, zu balancieren, sich motorisch zu entwickeln, die Gefahren an der Straße kennenzulernen und wir dabei noch unsere Rückengesundheit riskieren, ist das unter Umständen  bald kein gutes Verwöhnen mehr. Wir nehmen unserem Kind die Chance auf Entwicklung, Fehler  machen, Durchhalten in diesem motorischen Bereich und auch die Chance, unser Bedürfnis nach einem gesunden Rücken anzuerkennen. Dahinter steckt dann oft das elterliche Bedürfnis nach äußerer Harmonie oder aber elterliche Ängste.

Es ist also nicht ganz so einfach, dass man sagen kann: „Verwöhnen ist doch Liebe und damit immer
gut.“ Manchmal muss man genauer dahinter schauen, ob man aus Liebe nicht doch mehr zutrauen sollte und ob man aus Liebe vielleicht an sich selbst arbeiten muss.

Verwöhnen: Es geht dabei aber eher nicht ums erste Babyjahr!

Verwöhnen im Babyjahr, auf das du dich in der Frage beziehst, ist selten falsches Verwöhnen: So lange du auf die Kindersignale eingehst, ist alles gut. Wenn jemand sein Kind jetzt 24/7 tragen würde, weil er es nicht aushält, es abzulegen, wäre es ein elterliches Bedürfnis, dem nachgegeben wird ohne ans Kind zu denken, und damit schlecht. Aber das ist im Alltag selten so häufig der Fall, dass es kritisch wäre. Vor allem passiert es viel, viel seltener, als das Umfeld immer meint.

Welcher Glaubenssatz steckt hinter der Sorge „Wir verwöhnen zu sehr!“?

Wenn jemand wirklich diese Sorge hat – und das höre ich in meinen Beratungen nicht selten – steckt
entweder tatsächlich das Umfeld dahinter, das den Eltern voraussagt, was aus ihrem Kind einmal für
ein schrecklicher Diktator werden wird. Und das müssen nicht nur Verwandte oder
Kitaerzieher*innen sein; mit Umfeld meine ich auch Zeitungsartikel oder Bücher, die so gerne die
Tyrannei der Kinder ausrufen. Zum anderen stecken manchmal auch die Unsicherheiten in den Eltern selbst dahinter, vor allemwenn ein Kind ein eher wildes Temperament hat. Haben die Eltern es bislang sehr bedürfnisorientiertbegleitet, so dass es recht frei und unverbogen* ins Leben gehen kann, kommt oft der Moment, andem sie sich fragen, ob die Begleitung falsch war und ist und das wilde Kind „mehr Härte“ braucht.
Wie oft erlebst du die Sorge heute noch bei Eltern? Oder ist es die der Großeltern?

„Was passiert, wenn ich Kinder nicht mit Liebe und Aufmerksamkeit und Respekt verwöhne?“

Ich denke, die Sorge steckt in vielen Köpfen aus allen Generationen, aber die Themenfelder sind etwas anders gesteckt. Die Großeltern denken eher an Tragen und Familienbett oder an Eltern, die unheimlich viel mit ihrem Kind kommunizieren, statt harte Ansagen zu machen. Und die Eltern denken auch an die Kommunikation, aber m.E. kleinteiliger an den Alltag. Im Endeffekt kreist es aber meist um Begriffe wie erlauben und bestrafen sowie teilweise um die eigenen Kräfte, wenn man das Gefühl hat, zu viel Mama oder Papa zu sein und zu wenig Frau oder Mann. Umkehrschluss: Was passiert, wenn ich Kinder nicht mit Liebe und Aufmerksamkeit und Respekt verwöhne? Das ist die andere Seite der Medaille, klar: Sehe ich die Bedürfnisse meines Kindes, sagen uns alle Studien, dass das die bestmögliche Begleitung der kindlichen Entwicklung ist. Übergehe ich sie dauerhaft, zeige mich distanziert, desinteressiert oder respektlos, macht das immer etwas mit einem Kind. Es kann sich nicht so gut entwickeln wie andere und braucht viel Resilienz, um doch recht unbeschadet erwachsen zu werden. Neueste Untersuchungen haben sogar gezeigt, dass die Gehirnentwicklung durch derartige psychische Gewalt beeinträchtigt wird!** Allerdings kann ebenso einiges Negative passieren, wenn ich zu sehr, zu schlecht verwöhne, wie oben
erklärt.

„Fehlt mir diese Sicherheit in mir selbst, fehlt sie mir auch in meiner Elternrolle und ich muss sie irgendwie suchen.“

Und was hat das am Ende mit mir selbst zu tun?

Ich glaube, im Endeffekt läuft alles auf das Thema Sicherheit hinaus. Wenn ich recht selbstsicher und
-zufrieden bin, kann ich ein feinfühliger Elternteil sein, der ganz gut spürt, welches Verwöhnen ein gutes ist. Ich kann sogar hier und da schlecht Verwöhnen. Wenn es mir in dem Moment guttut, weil es Konflikte reduziert, denn es ist nicht meine Grundhaltung und schadet meinem Kind nicht nachhaltig.***

Fehlt mir diese Sicherheit in mir selbst, fehlt sie mir auch in meiner Elternrolle und ich muss sie irgendwie suchen: Zum Beispiel, indem ich nicht verwöhne, sondern hart bin, in der Hoffnung, dass mein Kind pariert und sich gut entwickelt; oder indem ich zu sehr und schlecht verwöhne, in der Hoffnung, dass mein Kind mich dann liebt, weil ich es selbst nicht so kann. Es ist wie bei fast allen Themen, die Eltern in die Beratungen mitbringen: Der erste Blick muss auf uns selbst gehen. Nicht auf die anderen, nicht aufs Kind. Wenn ich ganz gut aufgestellt bin, kann ich auch
immer mal wieder toll verwöhnen.

Inkes Link-Tipps:

* Siehe „Frei und unverbogen“, Susanne Mierau, Beltz 2021.

** SieheBR 24: „Strenge Erziehung schadet Entwicklung des Kindergehirns“

*** Siehe Cambridge University Press: „Prefrontal cortex and amygdala anatomy in youth with persistent levels of harsh parenting practices and subclinical anxiety symptoms over time during childhood“

**** Siehe Bindungsträume: vErWöHnEn – ja oder nein?

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