Elternsein

Schulmobbing: Eine Mama erzählt. + Tipps von Pädagogin Inke Hummel

Die bewegende Geschichte einer Familie. Autorin: Dorothee Dahinden

von
Dorothee Dahinden

Schulmobbing: Mama Martina erzählt eindringlich die Geschichte ihres Sohnes und appelliert: Bitte vertraut euren Kindern!


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Schulmobbing: „Ich zünde dich an. Ich bringe dich um.“

Das Interview mit Mama Martina

Liebe Martina, du hast uns bei Facebook geschrieben, dass dein Kind gemobbt wurde. Würdest du uns bitte einmal erzählen, was genau passiert ist? Welche Anfeindungen gab es? Und wie oft?

Schulmobbing
Mama Martina mit ihrem Sohn Paul. Sie möchte ihre Geschichte erzählen, aber zum Schutz der Familie nicht erkannt werden.

Paul war in seiner ganzen Schulzeit bis jetzt schon immer auffällig gewesen. Er konnte im Unterricht schlecht stillsitzen. Er hat sich nie etwas gefallen gelassen. 

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Paul hatte damals von der Grundschule auf die nächst höhere Schule gewechselt. Gleich in der ersten Woche kam er zu mir und sagte, dass einige Kinder ihn versucht haben, ihn von der Treppe zu stoßen. Und die Kinder ihn beleidigten – als Brillenschlange oder Hörgeräteträger. Seine Sachen wurden versteckt oder kaputtgemacht. Ich bekam dann einen Anruf des Klassenlehrers, der mir erklärte, dass Paul einen Mitschüler geschlagen hätte. Ich habe den Klassenlehrer aufgeklärt, was da passiert. Ich bekam dann zur Antwort: „Wir achten drauf!“

„Mama ich stehe hier auf dem Schulhof und die Kinder sind alle um mich drum herum.“

Aufgehört haben diese Übergriffe auf Paul nicht. Er durfte sich dann nur nicht mehr wehren. Täglich hatte er neue blaue Flecken. Täglich erzählte er mir, dass die Kinder ihn treten. Paul wurde zusehends immer unruhiger zu Hause, hörte auf zu essen. Kurz vor den Herbstferien war es dann, dass ein Mitschüler meinen Sohn mit voller Wucht gegen die Mauer gestoßen hatte. Er hatte jetzt Verletzungen, die eigentlich nicht mehr zu dulden waren. Sein Arm war stark geprellt und er hatte eine Schürfwunde am Ellenbogen. Nach den Herbstferien begann das Spiel dann von neuem. Er schickte mir eine Sprachnachricht: „Mama ich stehe hier auf dem Schulhof und die Kinder sind alle um mich drum herum.“ Ich bin sofort zur Schule gerast, die Lehrer haben mich abgewiesen. Sie hätten jetzt Mittagspause. Ich bekam einen Termin für den nächsten Tag.

An dem nächsten Tag wurde mein Kind dann angegriffen. Dieses Mal wurde es dann aber auch der Schulleitung wohl zu bunt. Sie suspendierte diesen Jungen und es gab eine Klassenkonferenz. Drei Wochen hätte mein Sohn Ruhe gehabt… Hätte gehabt, wenn dieser Junge nicht von außen agieren würde. Er hat anderen Kindern Whatsapps geschrieben, dass er, wenn er wieder komme, Paul das Leben zur Hölle machen würde – und dass jetzt die anderen Kinder weitermachen sollten. Das ist dann auch passiert. Seine Kleidung wurde beim Sportunterricht in den Müll geworfen. Er wurde bespuckt. Er wurde beleidigt. Zu allem Übel wurde ihm dann die Pause verwehrt und er musste in eine sogenannte stille Pause. Das ist ein Raum, wo sich alle Schüler treffen, die nicht in die Pause sollten. Das Kind, das mein Kind mobbte, durfte weiterhin in die Pause. 

Schulmobbing: „Ich habe Paul – so oft es ging – krankschreiben lassen. Er wurde immer aggressiver.“

Ich habe ihn damals schon wochenweise krankschreiben lassen, weil er das Essen eingestellt hatte. Ich war jede Woche mindestens ein Mal bei der Schuldirektorin. Irgendwann gipfelte ein Gespräch darin, dass sie mir sagte: „Wir Erwachsene müssen uns da jetzt mal raushalten und ein Schlag ist ja nicht gleich ein Schlag!“ Außerdem wäre es an der Zeit, dass ich Paul ja mal alleine zur Schule gehen lassen solle. Also es wurde irgendwie alles getan, dass ich mich von der Schule fernhalte. Ich habe mich dann mit der Landesschulbehörde in Verbindung gesetzt und einen Schulwechsel beantragt. Ich habe Paul – so oft es ging – krankschreiben lassen. Er wurde immer aggressiver.

Der Schulwechsel wurde dann offiziell eingereicht. Daraufhin durfte ich Paul dann zwei Tage vor den Weihnachtsferien abholen, weil er sich endlich mal gewehrt hatte. Die Lehrer haben meine Warnung überhört, denn in den Gesprächen habe ich schon oft gesagt: Irgendwann dreht er sich um und trifft dann den Falschen. Naja, der Falsche war es nicht gerade, aber nicht der der ihn zu dem Zeitpunkt angegriffen hatte. Nach den Weihnachtsferien wurde er dann mit einem Feuerzeug bedroht – mit den Worten: „Ich zünde dich an. Ich bringe dich um.“ Das war dann für mich und meinen Mann zu viel des Guten. Wir haben sofort reagiert und ihn dann bis zum Schulwechsel krankschreiben lassen. Aus Erzählungen anderer Mütter weiß ich, dass dieses Kind sich ein anderes Opfer gesucht hat. 

Schulmobbing: „Seine Schulnoten wurden immer schlechter.“

Ich kann mir vorstellen, dass es dein Kind hart getroffen hat. Magst du uns einen Einblick in die Gefühlswelt geben?

Mein Sohn war einfach enttäuscht. Er hatte sich bewusst für diese Schule entschieden, da sein bester Freund auch auf diese Schule gehen sollte. Er wurde erst immer ruhiger, dann immer aggressiver. Er hat mit Gegenständen um sich geworfen. Seine Schulnoten wurden immer schlechter. Er hat das Essen eingestellt, wog im Januar 2020 gerade mal 28 Kilo.

Und wie seid ihr als Eltern damit umgegangen – das war sicher schwer, oder?

Erst habe ich die Taktik gewählt, dass Paul denen aus dem Weg geht. Dann sollte Paul zum Lehrer gehen. Dann habe ich den Weg zur Schulleitung gewählt. Für mich war es in dem Moment sehr schwer, meinen Sohn überhaupt noch auf diese Schule zu lasssen. Ich hatte Angst um mein Kind. Das konnte keiner verstehen. Überhaupt keiner. Ich habe oft zu Hause gesessen und geweint.

„Wir haben dann die Landesschulbehörde und das hiesige Jugendamt mit ins Boot geholt.“

Welche Schritte seid ihr dann gegangen? Habt ihr das Gespräch an der Schule gesucht oder Habt euch anderweitig Hilfe geholt? Und: Haben diese Schritte etwas gebracht? Wenn ja, was?

Ich war jede Woche in der Schule und habe Gespräche gesucht. Die haben gar nichts gebracht. Überhaupt nichts. Außer den Sprüchen: „Wir sind da dran, wir kümmern uns.“ Wir haben dann die Landesschulbehörde und das hiesige Jugendamt mit ins Boot geholt. Erst dann kam da Bewegung rein. Nachdem wir alles eingereicht hatten zum Schulwechsel, war Paul nicht mehr seiner selbst und nur noch einen Tag auf dieser Schule. Ich habe ihn dann krankschreiben lassen, damit er wieder zur Ruhe kam. In dieser Krankschreibungszeit haben wir mehrere Termine beim Psychiater gehabt, wo Paul dann Asperger Autismus attestiert wurde. Er wurde in dieser Zeit wieder ruhiger und nahm auch wieder zu.

nach dem Schulmobbing: Paul hat einen Freund gefunden!

Ihr habt dann die Schule gewechselt, oder? Wie geht es deinem Kind heute?

Paul wechselte die Schule zum 01.02. Er hat sofort Anschluss gefunden, ist aber sehr vorsichtig im Umgang mit anderen Kindern. Aufgrund seiner Verhaltensauffälligkeiten eckt er zwischendurch das eine oder andere Mal an. Aber sowohl die Kinder als auch die Lehrkräfte wissen damit umzugehen. Er hat einen Freund gefunden, wiegt wieder mehr. Er freut sich wieder auf die Schule. Auch wenn das heißt, dass er mit dem Taxi fahren muss. Es geht ihm jetzt endlich wieder gut. Die jetztige Schule ist der absolute Glücksgriff. Sie gehen voll und ganz auf jedes Kind ein. Mit seinen Ängsten und Sorgen.

Wozu rätst du anderen betroffenen Familien in der Situation?

Sofort zu handeln. Nicht erst abzuwarten. Ich habe viel zu lange gewartet. Hört auf eure Kinder, vertraut ihnen.

Lieben Dank für dein Vertrauen und dafür, dass du mir eure Geschichte zum Thema Schulmobbing erzählt hast, liebe Martina!

Schulmobbing: Tipps von Pädagogin Inke Hummel!

BEZIEHUNG

Schulmobbing schüchtern Selbstfürsorge Inke Hummel
Foto: Inke Hummel

Leider kann jedes Kind Opfer werden. Präventiv ist wichtig, dass wir Eltern eine gute Beziehung zu unseren Kindern haben, damit sie auf jeden Fall mit uns darüber sprechen (mehr dazu in meinem Buch „Miteinander durch die Pubertät“).

MITEINANDER 

In allen weiteren Schritten zählt diese Beziehung auch viel, denn jede Entscheidung solltet Ihr möglichst gemeinsam fällen, nicht ohne/gegen das Kind. Es ist die Person, die am nächsten Tag wieder in die Schule gehen muss. Fragt nach und hört zu: Was könnte ihm helfen?

GEHÖR 

Schafft Öffentlichkeit: Klassenleitung, Schulpsycholog:in, ggf. Elternpflegschaft, Vertrauenslehrkräfte, Direktorat, Schulsozialarbeiter:in. Sie können Täter:innen (und ihre Eltern) gezielt ansprechen und beispielsweise Mitschüler:innen  über das Programm „No Blame Approach“ mit ins Boot holen (mehr dazu in Norman Wolf „Wenn die Pause zur Hölle wird“).

SCHULE ALS GUTER ORT

Sorgt für Beziehungen in der Schule: Euer Kind braucht Unterstützer:innen und das Gefühl, die Schule kann ein guter Ort sein, von dem sie ein wichtiger Teil sind.

HILFE

Nutzt Selbsthilfeforen und holt Expert:innen an Eure Seite, denn nicht alle Schulen haben gute Pläne für den Mobbingfall: www.schulpsychologie.de oder Nummer gegen Kummer 116 111.

BEGLEITUNG

Seid für Eure Kinder da und sorgt eventuell für längerfristige psychotherapeutische Begleitung, wenn die Erfahrungen sehr belastend waren.

Inke Hummel setzt sich sehr für unsere Kinder ein. Sie hat einen bindungs- und bedürfnisorientierten Blick auf das Thema Erziehung. Hier geht es zu ihren beiden Ratgebern. Bei diesen Anzeigen handelt es sich um so genannte Affiliate Links*. Für diese Links erhalten wir eine Provision, wenn über den verlinkten Anbieter (Amazon) ein Kauf zustande kommt. Für dich entstehen dadurch keine Mehrkosten. Für das reine Setzen des Links erhalten wir kein Geld.

♥ Inke empfiehlt euch dazu Nicki Tuschl – sie macht Kinder gegen Mobbing stark.

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