Kitafrei leben: „Meine Kinder dürfen Entscheidungen treffen.“
Ein Gastartikel von der Kinderbuchautorin & Dreifachmama Sherin Nagib.

Kitafrei leben: Sherin Nagib erzählt uns, warum sie sich dazu entschieden hat, ihre Kinder selbst zu betreuen.
„Es gibt keinen Königsweg, sondern nur viele, viele Unterschiedliche.“
Oft denken wir, dass das, was üblich ist auch automatisch das Richtige ist. Immerhin hat es schon ewig so funktioniert. Ein altbewährtes Rezept also? Nein. Es gibt keinen Königsweg – sondern nur viele, viele Unterschiedliche. Ich wünschte, das hätte mir jemand gesagt als ich zum ersten Mal schwanger war.

Stattdessen habe ich ziemlich viel darauf gegeben, was die Leute um mich herum alles so sagten: wie ein Baby zu schlafen, zu stillen und zu essen hat und so weiter. Doch jede Familie muss ihren eigenen Weg gehen. Wir funktionieren unterschiedlich. Für manche ist die Kita die perfekte Lösung, für manche wiederum nicht.
kitafrei leben:
Hier ist der Weg, den ich mit meiner Familie bisher gegangen bin.
Noch im achten Monat schwanger fingen schon die Fragen an, ob ich einen Kitaplatz hätte und als mein Kind dann tatsächlich acht Monate alt war, wurde ich leicht panisch. Fast ein Jahr alt und kitatechnisch noch nicht versorgt? Oh je. Was wird aus Arbeit, Uni, Geld verdienen und feministisch sein?
Ich machte mich auf die Socken, klapperte alle Kitas ab und bekam zum Glück (?!) innerhalb weniger Monate einen Platz für meine Tochter zur Verfügung gestellt. Mit einem Jahr begann ihre Eingewöhnung und das lief auch ziemlich gut. Ich genoss die neu gewonnene Freiheit und dachte, ich könne mich nun (endlich) auf meine eigenen Ziele konzentrieren.
Diese Probleme sind bei uns entstanden.
Doch dann begannen die ersten Probleme: Um morgens, sieben Uhr, mit meinem Kind aufzustehen, rechtzeitig den Bus zu schaffen und bei der Kita anzukommen, musste ich meine Tochter abends zwingen um 20 Uhr schlafen zu gehen – was nicht klappte. Egal was ich tat, sie wehrte sich vehement gegen das Einschlafen. Tränen, Verzweiflung und Kämpfen bis spät in die Nacht. Jeden einzelnen Tag. Am nächsten Morgen wachten wir beide übermüdet auf. In der Kita schlief sie nicht, stattdessen aber auf dem Rückweg nach Hause. Ich musste sie schlafend in den fünften Stock tragen. Daraufhin wachte sie zu spät auf und die abendliche Einschlaftortur begann von Neuem. Ihr Biorhythmus war also im Eimer. Und ich bekam nicht genug Kaffee.
Kitafrei leben: Ich habe die gesellschaftlichen Normen hinterfragt.
Zu dieser Zeit begann ich die gesellschaftlichen Normen immer mehr zu hinterfragen. Tue ich die Dinge wirklich, weil ich überzeugt bin, oder weil ich glaube, dass die Gesellschaft das so von mir erwartet? Ich machte eine mentale Liste mit dem, was wir uns als Familie eigentlich vom Leben wünschen: Gesundheit, Glück, Freude, Liebe.
Warum sollte die Lösung für etwas so Einfaches also so kompliziert und qualvoll sein? Zeitgleich zu meiner persönlichen Reflexion begann meine Tochter immer häufiger darum zu bitten zuhause zu bleiben. Dem ging ich nach und das eröffnete mir ganz neue Perspektiven. Ich begann mich im Internet über Möglichkeiten zu informieren, wie ich unseren Tag sinnvoll, spielerisch und voller Liebe füllen kann.
Hier habe ich mich rund um das Thema kitafrei leben informiert.
Dabei stieß ich vor allem auf amerikanische Mütter, die homeschooling oder unschooling betrieben. Letzteres faszinierte mich über die Maße. Ich recherchierte Bücher und Vorträge von Arno und André Stern und fragte mich: Was hat mein Kind eigentlich von alldem? Dient das System Kindergarten wirklich dem Kind oder eher dem „System“? Auf dass das Kind möglichst schnell und früh lernt, sich anzupassen, seine eigenen Bedürfnisse zurückzustellen und einfach zu funktionieren? Ergibt es einen Sinn, dass ich arbeiten gehen muss, damit ich die Kita bezahlen kann, damit sich Fremde mit meinem Kind beschäftigen können, während ich das auch selbst machen könnte?
Ich stieß auf einen deutschen Blog, in dem ich 22 Gründe für ein kitafreies Leben fand die mich überzeugten. Ich begann den Kindergarten als Stressfaktor und Arbeit für mein noch sehr kleines Kind zu begreifen und ließ es immer öfter zuhause. Wir genossen die gemeinsame Zeit und sie wurde immer entspannter – unsere Beziehung enger und intensiver. Wir waren voller Liebe. Die ultimative letzte Frage, die ich mir gestellt habe, war diese:
Wenn ich morgen sterbe, was bleibt meinem Kind von mir übrig?
Das mag jetzt ziemlich nach Weltuntergangsstimmung klingen, doch auch der Tod ist eine reale Komponente unseres Lebens, die unserer Aufmerksamkeit bedarf. Aus Erfahrung weiß ich, wie schnell ein Kind seine Mutter vergisst, wenn diese in jungen Jahren stirbt. Wie kostbar jede Minute in Wirklichkeit ist. Möchte ich am Ende so viele Minuten und Erinnerungen für meine Tochter in einem Kindergarten verschwendet haben?
All das mag egoistisch klingen – wie die Worte einer liebeskranken Mutter. Doch das sind sie nicht. Meine älteste Tochter und ich haben damals die Vereinbarung getroffen, dass sie nie in den Kindergarten muss, aber darf. So vergingen also nun knapp drei Jahre nach dem Kita-Ausstieg, die wir im Rahmen unserer Großfamilie kitafrei verbrachten und ich bin sehr dankbar, dass wir diese Erfahrung machen durften. Inzwischen hat meine Tochter sich für den Kindergarten entschieden und nun wird sie ihn ein ganzes Jahr vor der Einschulung besuchen. Für uns die perfekte Lösung.
Kitafrei leben oder doch die Kita?
„Meine Kinder dürfen Entscheidungen treffen.“
Werde ich das bei meinen anderen Kindern genauso tun? Das weiß ich nicht. Ab drei Jahren werde ich es ihnen anbieten und schauen, was sich ergibt. Wichtig ist mir: Meine Kinder dürfen Entscheidungen treffen und zeigen, was ihnen gut tut. Sie dürfen mich beanspruchen und Erinnerungen mit mir sammeln. Ob das nun mehr oder weniger Stress für mich bedeutet, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Festhalten möchte ich für euch trotzdem meine top Pro- und Contra-Punkte für ein kitafreies Leben:
PRO für mein Kind: flexibler Tagesrhythmus, keine Reizüberflutung, intensives Familienleben (Geschwister, Großeltern, Tanten).
CONTRA für mein Kind: weniger Freunde, weniger Ausflüge.
PRO für mich als Mutter: keine langen Wege, kein lästiges Koordinieren bei Krankheitsfällen, evtl. ausschlafen.
CONTRA für mich als Mutter: keine festen Arbeitszeiten (von zuhause arbeiten), hohe Selbstdisziplin erforderlich (nachts oder früh morgens, wenn die Kinder schlafen arbeiten), mehr Haushalt.
Beruf und „kitafrei leben“ vereinbaren – wie geht das?
3 Fragen an Sherin:
Wie wuppst du du Berufsleben und Familie? Viele von uns Mamas sind ja beruflich tagsüber eingebunden bzw. müssen morgens arbeiten – wie läuft das bei dir? Wann arbeitest du, wie verdienst du dein Geld bzw. was machst du genau?
Hauptverdiener ist bei uns mein Mann. Das liegt daran, dass ich mein Geld versuche als Autorin und Texterin zu verdienen und das von zu Hause aus. Ich arbeite also vor allem wenn die Kinder schlafen. Dazu plane ich die Kinder bis 21 Uhr schlafen zu legen und danach bis ca. Mitternacht zu arbeiten – das geschieht auch häufig im Bett, mit einem Kind im Arm und dem Laptop auf dem Schoß. Klappt das nächtliche Schreiben nicht, weil die Kinder zu lange wach sind (vor allem im Sommer) oder ich zu müde, stehe ich alternativ um fünf Uhr morgens auf. Dann arbeite ich für ca. zwei Stunden am Schreibtisch bis alle aufwachen.
Das ist mein Netzwerk:
Hast du denn eine Familie oder ein Netzwerk, das dich unterstützt?
An manchen Tagen klappt weder das Spät- noch das Frühschreiben. Dann bin ich auf meine Familie angewiesen. Wenn es meinen Familienmitgliedern möglich ist, versuchen sie mir an solchen Tagen die Kinder ein paar Stunden abzunehmen, damit ich mich dann in meinem Büro einschließen und arbeiten kann. In jedem Fall fordert das viel Disziplin von mir. Ich kann meine nächtliche Zeit selten in Netflix und co. investieren und muss häufig gegen die Müdigkeit kämpfen. Aber ich mache es gerne.
Wann hast du Zeit für dich? Und was machst du, wenn du als Mama Pause hast?
Wenn ich eine Pause vom Mama-Alltag und dem Kinderwahnsinn brauche, schicke ich meine zwei Großen zu ihrer Tante oder ihrem Großvater. Für diese Möglichkeit bin ich sehr, sehr, sehr dankbar. Denn das ständige Zusammensein treibt mich durchaus manchmal in den Wahnsinn. Wenn ich vollkommen alleine bin und keine Verpflichtungen habe, genieße ich es eine Serie zu schauen, ein Entspannungsbad zu nehmen oder zu lesen. Nagut… und manchmal arbeite ich dann trotzdem!
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