PränatalmedizinSchwangerschaft & Geburt

Pränatale Diagnostik: „Ich habe Sorge, was passiert, wenn der NIPT zur Kassenleistung wird.“

von
Dr. med. Judith Bildau

Pränatale Diagnostik: Ein Thema, das kontrovers diskutiert wird. Werdende Eltern stehen vor der großen Frage: Sollen wir alle Untersuchungen machen, um unser Kind bestmöglich untersuchen zu lassen und mögliche Antworten darauf zu haben, wie es ihm geht? Oder vertrauen wir auf die Natur?

Unsere Frauenärztin Judith hat dazu ganz persönliche Gedanken zu dem Thema. Auch, weil in ihrer ersten Schwangerschaft alle Untersuchungen gemacht wurden, die fehlende Hand ihrer Tochter allerdings nicht entdeckt wurde.


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Das hier ist Teil zwei unseres Themenschwerpunkts zur Pränatalmedizin. Zu Teil 1 – Judiths Interview mit einem Pränatalexperten – geht es hier.

Zu Teil 3 – eine Mama erklärt, warum sie den Bluttest gemacht hat – hier.

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Und zu Teil 4 – eine Mama mit Down-Syndrom schildert ihre Sicht der Dinge – hier.


Pränatale Diagnostik: „Ich habe Sorge, was passiert, wenn der NIPT zur Kassenleistung wird.“
Ein Text von Frauenärztin Dr. Judith Bildau

Pränatale Diagnostik: Ein Thema, das mich beruflich, aber auch privat sehr beschäftigt. Beruflich als Frauenärztin, die ihre schwangeren Patientinnen auf ihrem Weg durch das Abenteuer „Schwangerschaft“ begleitet. Privat als 5fache Mama, die drei Töchter davon selbst geboren hat. Und außerdem als Ehefrau eines Pränatalmediziners.

Es gibt Schwangere in meiner Praxis, die eine tiefe Sicherheit haben, ob sie pränatalmedizinische Untersuchungen für sich und ihr Baby wünschen oder nicht.

Die meisten dieser Frauen, die diese Sicherheit haben, haben sich vorher intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Sich belesen, sich mit Partner oder/und Familie besprochen. Sie antworten auf meine Frage, ob ein Ersttrimesterscreening (ETS) oder ein nicht-invasiver Pränataltest (NIPT) gewünscht wird, sehr klar.

Praenatale Diagnostik

Viele Schwangere sind unsicher: Was kann die pränatale Diagnostik überhaupt alles?

Ich möchte aber behaupten, dass die Mehrzahl meiner schwangeren Patientinnen unsicher ist. Sie eigentlich gar nicht so genau weiß, was diese Untersuchungen bedeuten und sich überfordert fühlt, eine solch weitreichende Entscheidung zu treffen. Völlig verständlich.

Nicht selten fragen sie mich dann, was ich ihnen denn raten würde oder wie ich es in meinen Schwangerschaften gehalten habe. Einige von ihnen erinnern sich dann daran, dass mein Mann von Beruf Pränatalmediziner ist und winken dann ab. „Ach so, Sie haben natürlich alle möglichen Untersuchungen gemacht.“

Dann muss ich lächeln. Ich verstehe diesen Einwand natürlich. Dennoch liegt die Sache anders. Ich möchte euch gerne meine Geschichte zum Thema „pränatalmedizinische Untersuchungen“ erzählen.

Als ich mit meiner ersten Tochter schwanger war, ohne meinen heutigen Ehemann an der Seite, war ich 24 Jahre alt. Ich war rundum gesund, habe selbstverständlich weder Alkohol getrunken, noch irgendwelche Medikamente eingenommen. Noch geraucht. Dazu habe ich auf meine Ernährung geachtet und hatte während meiner Schwangerschaft, soweit ich weiß, keine ernsthafte Infektion.

Pränatale Diagnostik: Ich habe in meiner 1. Schwangerschaft viele Zusatzuntersuchungen gemacht.

Ich war zwar Medizinstudentin, dennoch war ich nicht sonderlich gut über mögliche pränatalmedizinische Untersuchungen informiert. Damals war ich privat versichert; meine Krankenkasse hat sehr viele (Zusatz-) Untersuchungen übernommen. Als ich von meiner damaligen Frauenärztin gefragt wurde, ob ich ein Ersttrimesterscreening (ETS) zur Risikoberechnung einer Trisomie durchführen lassen wollte, bejahte ich achselzuckend.

Das Risiko für die Trisomien 13, 18 und 21 war sehr gering, ich natürlich erleichtert und fühlte mich noch sicherer, dass ich ein gesundes Kind bekommen würde. Ich erhielt jede Menge 3D-Untersuchungen. Alle völlig unauffällig.

Doch dann fehlte meiner Tochter eine Hand…

Nachdem meine Tochter auf die Welt kam, sah ich, dass ihr die linke Hand fehlte. Keiner hatte es bei den vorgeburtlichen Untersuchungen gesehen und mich darüber aufgeklärt. Meine Tochter ist das beste, das mir passieren konnte. Ich könnte nicht stolzer auf sie sein. Ich schaue sie tagtäglich verliebt an und nicht selten rutscht mir ein „Du bist mein Meisterstück“ heraus. Dennoch hat mich diese Erfahrung geprägt. Und mich grundsätzliche Dinge der Schwangerenuntersuchungen, deren Angebot und Durchführung hinterfragen lassen.

Einige Zeit später lernte ich meinen Mann kennen. Er begleitete schon damals tagtäglich gesunde Schwangere mit gesunderen Kindern, kranke Schwangere mit gesunden Kindern, gesunde Schwangere mit besonderen Kindern usw.

Als ich mit unserer ersten gemeinsamen Tochter schwanger wurde, stellte sich natürlich auch bei uns die Frage:

Welche Untersuchungen lassen wir durchführen?

Die „normale“ Vorsorge hat meine Frauenärztin gemacht. Ich habe mich ganz bewusst entschieden, alles, was darüber hinaus geht, nur von jemandem durchführen zu lassen, der auf diesem Gebiet spezialisiert ist. Der sich tagtäglich damit beschäftigt. Ich wollte nicht wieder Unmengen an Untersuchungen, die mir eine „falsche Sicherheit“ vermitteln könnten. Nun hatte ich diese Person ja sogar zu Hause.

Bei uns ist es, wie bei vermutlich vielen Ehepaaren: Wir unterhalten uns viel über unsere Arbeit. Viele Geschichten, die mein Mann mir aus seinem Arbeitsalltag erzählt hatte, haben mich sehr berührt. Sehr beschäftigt. Ich denke, ich war zu diesem Zeitpunkt recht gut darüber informiert, welche Chancen, aber auch welche Risiken, Pränatalmedizin mit sich bringen kann. Wir haben lange darüber gesprochen und uns letztendlich gegen jeden pränatalmedizinischen Test in der Frühschwangerschaft (damals gab es nur das ETS, bei unserer zweiten gemeinsamen Tochter dann erst auch den NIPT) entschieden.

Warum?

Weil mir ein Screening auf Trisomien nicht sinnvoll erschien. Ein Kind mit Down-Syndrom hätten wir beide immer liebevoll in Empfang genommen. Das einzige, was mich tatsächlich an einer Besonderheit des Down-Syndroms interessiert hätte, wäre gewesen, ob das Baby dann auch einen Herzfehler gehabt hätte (welcher häufig damit vergesellschaftet ist) und nach der Geburt Kinderärzte bräuchte.

Eine Auffälligkeit des Herzens hätte mein Mann aber im Ultraschall erkannt. Ebenso wie die schweren (und in der Regel nicht lebensfähigen) Erkrankungen Trisomien 13 und 18. Dafür brauchten wir also kein ETS. Auch andere schwere Erkrankungen, die eventuell nicht mit dem Leben des Kindes einhergehen hätten können, hätte er durch Ultraschalluntersuchungen diagnostizieren können.

Wenn irgendetwas auffällig gewesen wäre, wäre dann noch immer eine diagnostische Punktion (und damit Sicherheit) möglich gewesen. Screeningtests screenen und zwar nur diese Auffälligkeiten, die sie auch wirklich untersuchen.

Auch in der zweiten Schwangerschaft: kein ETS, kein NIPT

Auch in unserer gemeinsamen zweiten Schwangerschaft haben wir es so gehalten. Meine Vorsorgeuntersuchungen habe ich in einer Praxis durchführen lassen, einen ausgiebigen und speziellen Fehlbildungsultraschall bei ihm. Kein ETS, kein NIPT. Ich habe mich damit sehr wohl gefühlt.

Das heißt jetzt keineswegs, dass ich diese Screeningtests ablehne! Absolut nicht! Ich befürworte sie ausdrücklich, wenn die Schwangere bzw. die werdenden Eltern gut darüber aufgeklärt sind. Und für sich entscheiden, dass sie die größt mögliche Sicherheit wünschen. Wenn sie für sich entscheiden, dass sie so viel, wie irgendwie geht, vor der Geburt wissen möchten, auch, wenn ihr Kind ein Down-Syndrom und keine anderweitigen körperlichen Auffälligkeiten hat. Ich unterstütze jede Schwangere in genau dem, was sie braucht.

Ich wünsche mir Aufklärung!

Was ich mir aber wünsche, ist: Aufgeklärte Schwangere und werdende Eltern. Eine verantwortungsvolle Pränatalmedizin. Hätte mir jemand in meiner ersten Schwangerschaft genau erklärt, was diese Untersuchungen können, was aber eben auch nicht, hätte ich vielleicht in einigen Fällen anders entschieden, zumindest hätte ich einiges hinterfragt.

Ja, ich habe Sorge, was passiert, wenn der NIPT zur Kassenleistung wird. Nicht, weil ich den Test für nicht richtig halte, im Gegenteil! Ich habe Sorge, dass er nicht verantwortungsvoll angewendet wird. Dass werdende Eltern glauben, mit einem unauffälligen Testergebnis „einen Garant“ auf ein „gesundes“ Kind zu haben. Oder sich gegen ein Kind entscheiden „nur“ auf Grund einer Diagnose und ohne genau zu wissen, welche Einschränkungen das Kind in seinem Leben wirklich gehabt hätte.

Diesen Test würde ich eventuell machen.

Gerade ist übrigens ein nicht-invasiver Pränataltest auf den Markt gebracht worden, der schon im Mutterleib untersuchen kann, ob das Kind eine spinale Muskelatrophie oder eine Mukoviszidose hat. Zwar werde ich nicht mehr schwanger (wir sind komplett!), möglicherweise würde ich/ würden wir diesen Test in einer eigenen Schwangerschaft aber durchführen lassen. Er würde nämlich die Möglichkeit bieten, eine solche Erkrankung früh erkennen und das Kind, wenn es dann auf der Welt wäre, frühst möglich therapieren zu können.

Pränatale Diagnostik – ein schwieriges, emotionales Thema.

Ich bitte alle werdenden Mütter und Väter:

Informiert euch! Fragt so lange nach, bis ihr es verstanden habt! Und entscheidet euch nur für euch selbst, lasst euch von niemandem reinreden! Es ist eure Schwangerschaft, euer Kind und euer Leben!

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Foto: Dr. Judith Bildau, Frauenärztin & MutterKutter-Autorin

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