Elternsein

Alleinerziehend: Verlassen in der Schwangerschaft!

Unsere Autorin Dr. med. Judith Bildau mit ihrer persönlichen Geschichte!

von
Dr. med. Judith Bildau

Alleinerziehend. Noch in der Schwangerschaft – in der Ausbildung – verlassen. Jung. Unsere Judith geht mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit.

Denn sie möchte Mut machen. Allen Alleinerziehenden Kraft geben. Für eine Lebenssituation, die so nervenzehrend und kraftraubend sein kann. Gebt bitte nicht auf – das ist Judiths Message.

Alleinerziehend… aber nicht einsam

Ja, auch ich war alleinerziehend. Obwohl es mir mittlerweile, wenn ich mir heute unsere Großfamilie anschaue, fast wie eine Ewigkeit her vorkommt. Aber objektiv gesehen war ich es. Und zwar mehrere Jahre.

Verlassen. Noch in der Schwangerschaft.

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Dr. med. Judith Bildau, Gynäkologin, Medfluencerin & Autorin// Credit: Sabina Radtke

Und das schon, als ich schwanger war. Der Vater meiner ungeborenen Tochter hat mich damals in der Schwangerschaft verlassen. Von Anfang an nicht begeistert von der Tatsache, dass ich schwanger war, sagte er mir, nach einem ewigen Hin und Her, dass er doch lieber anders leben möchte. Ich war Mitte zwanzig, Medizinstudentin kurz vor dem Examen, er ganz klassisch älter als ich und in der Klinik tätig, in der ich mein Praktisches Jahr absolvierte.

Ich denke, meine Familie, meine Mutter und meine Schwestern, können noch ein Lied davon singen, wie hart es mich damals getroffen hat. Nackte Angst hat mich überfallen. Innerlich immer wieder ein Film vor Augen, wie mein Leben (und das Leben meines Kindes) aussehen wird: Sitzengelassen, ja, gedemütigt, einsam, im Zweifel am Existenzminimum, unzufrieden und traurig. Mein Kind traumatisiert. Die Zeichen standen auf Alarmstufe Rot. Alles kam mir unüberwindbar vor.

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Geburtsvorbereitung alleine. Ohne Partner.

Vorsorgetermine bei der Frauenärztin, wenn um mich herum nur werdende Mütter mit werdenden Vätern anwesend waren, der Geburtsvorbereitungskurs, der eigentlich als Paar geplant war und bei dem ich jetzt peinlich berührt saß und erklärte‚ mein Partner müsse gerade sehr viel in der Klinik arbeiten‘, während andere Männer sich mit ihren Frauen durch die noch nicht vorhandenen Presswehen atmeten.

Ich erinnere mich gut daran, dass ich nachts aufwachte, die Augen öffnete und sie schnell wieder schloss, in der Hoffnung, dass das alles nur ein Alptraum gewesen sei. Ich sehe mich noch in meinem Einzimmerappartement mit meinem dicken Bauch einen Stubenwagen zusammenbauen, immer mit der Frage ‚was mache ich hier eigentlich?‘ Die größte Sorge während der Schwangerschaft war meine fehlende Gewichtszunahme; ich konnte einfach nichts essen, jeder Bissen blieb mir wortwörtlich im Hals stecken.

„Was denkst du, wie lange es dauert?“, fragte der Vater. Und kam nicht zur geburt.

Die Geburt kam dann überraschend. Mitten in der Stadt und zu früh, platzte meine Fruchtblase. Ich weiß noch, wie ich dem Vater meiner Tochter eine Nachricht über Handy schrieb, dass es jetzt wohl los gehen würde. Prompt kam die Antwort: „Was denkst du, wie lange es dauert?“ Ich weiß noch, wie ich fassungslos auf das Telefon starrte und dann plötzlich dieses untrügliche Gefühl aufkam: Ich schaffe das allein. Meine Mutter und meine große Schwester begleiteten mich in den Kreißsaal. Sie blieben an meiner Seite.

Glück im Unglück: Was für ein zauberhaftes Wesen.

Und dann war sie da: Meine wunderschöne Tochter. Das schönste Kind, das ich bis dahin gesehen hatte. Und auch wenn sich das absolut klischeehaft anhört, aber ab diesem Zeitpunkt war es klar: Sie und ich. Das ist alles, was zählt. Ich wurde mit einem ganz zauberhaften, ausgeglichenen Kind belohnt. Das Einzimmerappartement entpuppte sich als gar kein Problem, den Stubenwagen brauchte ich im Grunde nicht, denn mein Baby schlief in meinem Bett, ganz nah an mir dran.

Ich legte ein Studiensemester ein, das heißt, ich musste nicht zur Uni oder in die Klinik gehen, sondern lernte zu Hause. Ich hatte großes Glück: Meine Tochter schlief viel und wenn sie aufwachte, war sie fröhlich. Meine Mutter sagte einmal zu mir: „Ich beneide dich. Du hast nur euch beide. Ich hatte damals ein Haus und einen Ehemann, um die ich mich kümmern musste.“ Stimmt, das alles hatte ich nicht. Ich konnte mich komplett nach meiner Tochter richten. Durch die Halbwaisenrente, dich ich nach dem Tod meines Vaters erhielt, war ich auch finanziell in einer sicheren Position.

Alleinerziehend: kein Verhältnis zum Vater

Das Verhältnis zum Vater besserte sich leider nicht. Er kam und ging, wann er wollte, sagte Besuchstermine oft kurzfristig ab. Oft war ich wütend und enttäuscht. Vor allem, als er entschied, ins Ausland zu gehen. Dabei ging es längst nicht mehr um mich, sondern um unser Kind. Oft fragte ich mich, wie ich ihr das alles irgendwann einmal erklären sollte. Dank großer familiärer Unterstützung und einer wunderbaren Tagesmutter, die ich über das Jugendamt fand, schaffte ich das Examen. Ich bekam sofort eine Stelle im Uniklinikum und einen damit verbundenen Kitaplatz. Ich zog bei meiner Tante ein, deren Mann vor Kurzem gestorben war und die auf Leni anpasste, wenn ich 24-Stunden-Schichten leisten musste.

Alleinerziehend erziehen: Ich hatte zwar kein Dorf, aber eine Familie.

Auch wenn ich vieles vermutlich im Nachhinein verklärt sehe, habe ich sehr, sehr schöne und warme Erinnerungen an diese Zeit. Es war eine ganz exklusive Zeit. Natürlich verbunden mit viel Arbeit und einem latent schlechten Gewissen, weil ich auch viel in der Klinik war, dennoch immer mit dem Wissen, mein Kind ist gut aufgehoben. Früher sagte man: ‚Es braucht ein Dorf, um Kinder großzuziehen.‘ Das kann ich nur bestätigen. Ich hatte zwar kein Dorf, aber eine Familie. Eine Familie voller starker Frauen, die mich immer unterstützt haben.

Im Nachhinein kann ich nur allen Alleinerziehenden sagen (egal, ob Männer oder Frauen): Geht raus! Sucht euch ein Netzwerk zusammen, baut euch eins auf. Das geht. Und: Macht euch finanziell unabhängig. Ich weiß, dass das oft leichter gesagt ist, als getan. Aber finanzielle Unabhängigkeit macht stark. Einfach deshalb, weil es einen davor bewahrt, sich in elende Gelddiskussionen mit dem anderen Elternteil zu verstricken. Ich habe nie, auch nicht in meinen schwärzesten Stunden, daran gedacht, mein Studium aufzugeben. Dieses Ziel war gesetzt. Das Gefühl, für meine Tochter und mich allein sorgen zu können, hat mir Rückenwind gegeben.

Und: Holt euch Hilfe. Ich weiß noch, als meine Mutter mir damals vorschlug, mir Hilfe beim Jugendamt bezüglich einer Tagesmutter zu holen. Mir fiel alles aus dem Gesicht. Jugendamt hatte für mich so einen Hauch von ‚Kindeswohlgefährdung‘. Völliger Quatsch. Es gab dort einfach eine Liste von Tagesmüttern, die zertifiziert waren. Das wiederum hat mir letztendlich die Sicherheit gegeben, dass Leni, wenn ich lernen oder arbeiten musste, gut aufgehoben war. Zu der Tagesmutter haben wir übrigens heute, 11 Jahre später, immer noch Kontakt.

Manchmal bin ich heute immer noch wütend auf Lenis Vater.

Und: Verflucht den anderen Elternteil nicht. Auch heute sage ich: Ich würde niemals schlecht über den Vater in Gegenwart meiner Tochter sprechen. Sie weiß, dass er damals einen anderen Weg gewählt hat und ich sage ihr auch oft, dass ich sein heutiges Verhalten nicht immer nachvollziehen kann. Ich merke dann, dass ich ihn häufig vor ihr in Schutz nehme. Nicht um seinetwillen, sondern wegen ihr.

Denn sie weiß, dass sie zu 50% von ihm kommt. Und wenn ich ihn vor ihr degradieren würde, dann würde ich das auch mit ihr tun. So fühle ich es zumindest. Eigentlich habe ich eher Mitleid. Dass er dieses wunderbare, kluge, lustige, wunderschöne Mädchen nicht so nah erleben kann, wie ich es tagtäglich tue. Ich habe es nie so empfunden, dass ich die ‚Last‘ habe und er irgendwie frei ist oder so. Im Gegenteil.

An alle Alleinerziehenden: Fokussiert euch auf das Glück eurer Kinder und auf euer eigenes.

Ich sage: Fokussiert euch auf das Glück eurer Kinder und auf euer eigenes. Denn wenn das da ist, trotz allem Schmerz und aller Trauer, die war, dann ist kein Platz mehr für Hadern, Grämen, Was-wäre-wenn-Fragen. Nur Mut. Ich weiß, dass es auch ganz andere Geschichten gibt. Und ich weiß, dass ich vermutlich auch in einer privilegierten Situation war. Und ich kann mir vorstellen, dass einige sagen werden, ‚die hat ja gut reden‘. Aber ganz so einfach ist es nicht. Manchmal denke ich, ups, es hätte auch irgendwie schief gehen können. Abgebrochenes Studium, Streit um Unterhalt etc.

Mutig und zuversichtlich nach vorne gehen.

Was ich damit sagen will, ist: Die Vergangenheit kann man oft nicht ändern, aber viele Teile der Zukunft hat man nun doch selbst in der Hand. Ich denke, das wichtigste ist, auf sich selbst zu schauen und wie man selbst die Situation für die Kinder und sich meistern kann. Wut und (auch berechtigte) Erwartungshaltung zwingen einen häufig in eine Passivrolle. Und diese Rolle hemmt. Stattdessen: Mutig und zuversichtlich nach vorne gehen. Versuchen, den Kindern ein Vorbild zu sein. Sich nicht von Ärger oder Hass zerfressen lassen. Ich denke, das wird am Ende -für alle- belohnt.


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